Haftbefehl: "Das weiße Album"

Statement gegen die jungen Soundcloud-Rapper

07:48 Minuten
Rapper Aykut Anhan aka Haftbefehl performs during the second day of the Southside festival.
Rapper Aykut Anhan aka Haftbefehl: Autotune ist was für Frauen - oder? © Getty/ Redferns/ Thomas Niedermüller
Raphael Smarzoch im Gespräch mit Andreas Müller · 05.06.2020
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"Das weiße Album" ist die erste Neuerscheinung von Haftbefehl seit fünf Jahren. Unser Kritiker Raphael Smarzoch erklärt, welches Hip-Hop-Bild der Rapper darin vermittelt - und weshalb für ihn der Auftritt einer anderen Rapperin das Highlight des Albums ist.
"Das weiße Album": Ist dieser Titel eine Anspielung auf das mythenumworbene und gleichnamige Über-Werk der Beatles? Liegt nahe, der Gedanke. Es gebe aber "keine Referenzen auf dem Album, die diesen Verdacht erhärten würden", sagt unser Popkritiker Raphael Smarzoch.
Doch Haftbefehl weist auch an anderer Stelle in die Pophistorie. "Der Titel des Tracks 'Papa war ein Rolling Stone' ist ein Verweis auf das Stück der Temptations 'Papa was a Rolling Stone' und gleichzeitig auch ein sehr anachronistisches Stück - und das auf vielen unterschiedlichen Ebenen." Musikalisch falle es aus der Zeit, klinge nach altem Hip-Hop und habe nur wenig mit den hypermodernen Trap-Produktionen von heute zu tun.
Der Song "Morgenstern" vermittelt nach Smarzochs Einschätzung ein paradoxes Bild: "Obwohl das Stück sehr kontemporär klingt, offenbart Haftbefehl hier doch ein sehr antiquiertes Verständnis von Hip-Hop. Wo noch in Kategorien wie 'echter Rap' gedacht wird – also der Mythos von Authentizität hochgehalten wird, was die junge Soundcloud-Rap-Generation, die durchaus auch ironische Brüche beherrscht, eher belächelt."

Shirin David hilft

"Genau gegen diese Szene schießt Haftbefehl auch", so der Kritiker weiter: "wenn er den Autotune-Effekt ablehnt und ihn als weiblich konnotiert, indem er ihn mit Britney Spears in einem Atemzug nennt. Das ist nicht nur sexistisch, sondern zeigt auch, dass Haftbefehl wirklich alt geworden ist. Er gehört zur älteren Rap-Garde Deutschlands – und das schon mit seinen 34 Jahren."
Holt er sich deshalb Hilfe von jüngeren Kolleginnen und Kollegen? "Ja, das macht er in der Tat. Er holt sich sogar Unterstützung eines amerikanischen Rappers, nämlich Gucci Mane, der zwar auch zur älteren Generation gehört, aber einfach ein Unikat in der Szene ist und sich auch immer wieder neu zu erfinden versteht. Wie so oft im Deutschrap hat das aber mehr monetäre Hintergründe", sagt Smarzoch. Es sei ein strategischer Business-Move.
Highlight des Albums sei der Gastauftritt der Rapperin Shirin David, erklärt Smarzoch. "Sie ist zwar extrem bemüht, in ihrer Aussprache und Betonung wie Cardi B zu klingen. Das hat ihr den Vorwurf der kulturellen Aneignung eingebracht. Es tut aber einfach richtig gut, eine starke und selbstbewusste Frauenstimme auf diesem Album zu hören."
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