Aus den Feuilletons

Zwei Sätze, sechs Zeilen

Wolfgang Büchner spricht am 03.11.2014 in Hamburg bei der Festveranstaltung zum zwanzigjährigen Jubiläum des Onlineauftrittes des Spiegel Verlages.
Das vorläufige Ende eines Medien-Dramas: "Spiegel"-Chefredakteur Wolfgang Büchner geht zum Jahresende. © Marcus Brandt, dpa
Von Klaus Pokatzky · 07.12.2014
Nur ein paar dürre Zeilen ist es dem "Spiegel" wert, dass sein Chefredakteur zum Jahreswechsel geht - sie lassen kaum erahnen, was in den letzten Monaten im Haus los war. Die Feuilletons befassen sich ausführlicher mit der Personalie. Und es klingt Erleichterung durch, dass das Drama in viel zu vielen Akten nun ein Ende hat.
"Wenn Medien wichtig bleiben wollen, müssen sie zur Meinungsbildung beitragen", das stellt Marlis Prinzing im Berliner TAGESSPIEGEL fest. "Nüchterner geht es nicht", heißt es in einem anderen TAGESSPIEGEL-Artikel zu einem bislang noch wichtigen Medium: "Im aktuellen Heft vermeldet der 'Spiegel' via Hausmitteilung das Ausscheiden von Wolfgang Büchner als Chefredakteur von Magazin und Spiegel Online zum Jahresende. In zwei Sätzen und sechs Zeilen", schreibt Joachim Huber:
"Nichts verrät von dem Schauspiel, das sich in viel zu vielen Akten vollzogen hatte. Der 'Spiegel' entwickelte sich zur 'Drama Queen' in Medien-Deutschland, der Beifall war enden wollend."
Und was bringt der SPIEGEL so an Artikeln?
"Vor 75 Jahren schaute die Welt weg. Heute muss sie mutig handeln, bevor es zu spät ist."
Das schreibt Ronald S. Lauder zur Verfolgung der Christen im Nahen Osten.
"Keiner von uns – ganz gleich ob Jude, Christ oder Muslim – kann sich wirklich sicher fühlen, solange solche Verbrechen geschehen."
Ronald S. Lauder ist Präsident des Jüdischen Weltkongresses. Die brutalen Fakten benennt der SPIEGEL in seinem redaktionellen Begleittext:
"Im Irak, wo vor der US-Invasion 2003 vermutlich rund 1,5 Millionen Christen lebten, sind heute schätzungsweise nur noch 400.000 ansässig. Als im Juni dieses Jahres IS-Truppen die Stadt Mossul im Norden des Landes eroberten, flüchteten rund 25.000 Menschen christlicher Konfession."
Nachdenken über das strikte Nein
Die großen Schlagzeilen macht der Terror des IS regelmäßig, wenn Geiseln aus dem Westen vor laufenden Digitalkameras ermordet werden. Die amerikanische und die britische Regierung lehnen Verhandlungen um Lösegeld strikt ab.
"Die Morde provozierten die USA so weit, dass sie sich an die Spitze einer grösseren Militäroperation gegen die Jihadisten setzten", lesen wir in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Frankreich und einige andere Länder, die verhandelt und ihre Geiseln freibekommen hatten, sind mittlerweile der Koalition gegen den IS ebenfalls beigetreten", schreibt der franko-amerikanische Schriftsteller und Journalist Jonathan Littell – und plädiert für ein Nachdenken über ein striktes Nein zu Lösegeldverhandlungen:
"Auch wenn ich es nie befürworten könnte, dass das Eingehen auf Lösegeldforderungen quasi zum System wird, scheint mir doch die Zeit gekommen, das Thema differenzierter zu betrachten: Es gibt in dieser Sache nicht nur Schwarz und Weiß."
Und was schrieb noch Ronald S. Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, zur Christenverfolgung durch den IS?
"Wir Juden lernten im Zweiten Weltkrieg, was es heißt, wenn die Welt schweigt, wenn sie gleichgültig bleibt im Angesicht großen menschlichen Leids. Wir haben diese Lektion gelernt und werden sie nie vergessen."
Einer, der uns allen geholfen hat, dass wir nicht vergessen, war Fritz Bauer, gestorben 1968, der Initiator und Staatsanwalt in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen der sechziger Jahre. "Nun gibt es einen Deutungskampf um sein Werk", erfahren wir im TAGESSPIEGEL, der einen mehr als seltsamen Umgang ausgerechnet des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts der Johann Wolfgang Goethe-Universität mit dem jüdischen Juristen beschreibt.
"Demontage und Desavouierung Fritz Bauers", kritisierte der ehemalige Untersuchungsrichter im Auschwitz-Verfahren Heinz Düx. Nur ein Beispiel aus dem TAGESSPIEGEL-Artikel von Kurt Nelhiebel:
"Unter der Überschrift 'Täterexkulpation und Opfergedenken' schrieb der Leiter des Institutsarchivs, Werner Renz, die Angeklagten seien niedere Chargen gewesen, für das Geschehen in Auschwitz nicht verantwortlich."
Exponate einer Ausstellung über den Auschwitz-Prozess "wurden unter Hinweis auf 'fehlende Lagerkapazität' vom Institut entsorgt." Fritz Bauer kann sich nicht mehr dagegen zur Wehr setzen.
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