Aus den Feuilletons

Zu knapp berechnet

Kräne stehen auf der Baustelle des Berliner Schlosses - Humboldtforum in Berlin. Im Hintergrund ist der Berliner Dom zusehen.
Die Baustelle des Berliner Schlosses bzw. Humboldtforums in Berlin © picture alliance / dpa / Foto: Rainer Jensen
Von Gregor Sander · 09.07.2014
Wer hätte es gedacht, in Berlin kommt auch mal ein Großprojekt voran. Der "Tagesspiegel" und die "Berliner Zeitung" haben sich auf der Baustelle des Humboldt-Forums umgesehen. Die "SZ" und die "Welt" beschäftigen sich mit der ZDF-Dokumentation "Der Rassist in uns".
Im Berliner TAGESSPIEGEL hat Rüdiger Schaper gute Nachrichten von einer Baustelle der Hauptstadt:
"Selten ist ein Rohbau so schnell hochgeschossen wie das Fassadenschloss in der Berliner Mitte, das einmal das Humboldt-Forum aufnehmen soll. Als wollte die Baustelle sagen: Ich bin zwar kein kühner architektonischer Wurf, aber ich habe gute Aussichten, im finanziellen (590 Millionen Euro) und zeitlichen Rahmen (Eröffnung Mitte 2019) zu bleiben, und das in Berlin!"
Dort fokussiert man sich inzwischen langsam auf die Innengestaltung:
"Im 3. OG wird die Kunst Asiens zu finden sein, im 2. OG Afrika, Südsee und Amerika und die Musikethnologie. Im 1. OG ziehen die Humboldt-Universität mit ihrem ´Labor` und die Zentral- und Landesbibliothek mit der ´Welt der Sprachen` ein."
Neben der Baustelle kann man in der Humboldt-Box schon einen Blick in das zukünftige Museum werfen, und der hat Kerstin Krupp von der BERLINER ZEITUNG gefallen:
"Einen Eindruck, was einen im Humboldt-Forum erwarten wird, gibt eine Vitrine, in der aus Stroh oder Bast gefertigte Kostüme mit Kopfmasken zu sehen sind. Über ein Display an der Wand erfährt der Besucher, dass es sich um Tanzmasken für Trauerrituale der Cubeo, einem Indianerstamm in Kolumbien, handelt. Nach einigen Berührungen des Touchscreens weiß er aber auch, wann die erste deutsche Expedition dorthin reiste und wieso die Masken Jaguare oder Schmetterlinge darstellen. Auch das aktuelle Leben des Volkes wird gezeigt und wie die alten Rituale sich in der modernen Welt wandeln."
Einig sind sich die beiden Zeitungen der Hauptstadt, dass die veranschlagten 32 Millionen Euro für das Innere des Schlosses dann doch zu knapp sind.
"Laut einer aktuellen Studie ist jeder vierte Deutsche ausländerfeindlich. Sie etwa nicht?",
fragt Markus Ehrenberg im TAGESSPIEGEL und weißt auf eine Fernsehdokumentation von ZDF Neo hin, die am Donnerstag gezeigt wird:
"Der Rassist in uns."
Sebastian Herrmann von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erklärt, worum es geht:
"Der Mensch entwickelte sich einst in Afrika, und da ist es oft ziemlich heiß. Dunkle Haut und braune Augen zählten also zu den Standardattributen der ersten Menschen, Melanin schützt den Körper nämlich vor der negativen Wirkung intensiver Sonneneinstrahlung. Blauäugige wiederum haben dieses Pigment irgendwann eingebüßt. Deswegen sind ihre Augen schließlich hell, und deswegen dringt das Sonnenlicht ungehindert in ihr Gehirn ein, wo es Neuronen zerstört. Und voilà, deshalb sind Blauäugige nicht die hellsten Kerzen am Baum."
Natürlich ist das Blödsinn, aber in einer Art Workshop werden 40 Menschen dieser Theorie unterworfen. Die Braunäugigen werden gefördert, die Blauäugigen gemobbt und die Feuilletons sind begeistert:
"Der 75-minütigen Sendung gelingt es, einem die eigene Anfälligkeit für Stereotype bewusst und einen sensibler gegenüber pauschalen Urteilen zu machen,"
schreibt Thorsten Wahl in der BERLINER ZEITUNG und Sebastian Herrmann von der SZ stellt fest:
"Das Begreifen setzt ein: So funktioniert Diskriminierung, so wirkt Rassismus."
Einzig Iris Alanyani von der Tageszeitung DIE WELT fühlt sich verschaukelt:
"Die Erfinderin der Blue-Eyed-Workshops, Jane Elliott, war eine amerikanische Lehrerin, die ihren Grundschülern Ende der 60er demonstrieren wollte, wie es sich anfühlt, aufgrund willkürlicher Merkmale benachteiligt zu werden. Eine ehrenwerte Idee – ob man Grundschüler solchen Spielen aussetzen sollte, ist eine andere Frage. Ob man erwachsene Fernsehzuschauer behandeln sollte wie Grundschüler, lässt sich hingegen ganz einfach beantworten."
Also doch wieder nur Fußball schauen in der Glotze? Nach dem 7:1 der Deutschen Mannschaft am Dienstag gegen die brasilianischen Gastgeber ist das Feuilleton die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG genauso sprachlos wie der Rest des Landes und zitiert lieber den ehemaligen englischen Stürmer und jetzigen BBC-Kommentator Garry Lineker:
"Unser Statistik-Mann, teilte Lineker" während des Spiels "mit, ´ist gerade in Flammen aufgegangen'."
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