Aus den Feuilletons

"Wo er hingerollt ist, wird es nichts Zweites geben"

Günter Grass während der Leipziger Buchmesse im März 2015.
Günter Grass während der Leipziger Buchmesse im März 2015. © Imago / Star-Media
Von Hans von Trotha · 13.04.2015
"Deutscher Nationaldichter", "Jahrhundert-Figur", "Parteisoldat": So würdigen die Feuilletons den verstorbenen Literaturnobelpreisträger Günter Grass - es sind Ouvertüren zum Nachruhm des Dichters.
"Der Parteisoldat" - "Metaphern, die sich auf die Füße treten" - "Der Selbstentlarver" - "Häutungen eines Dichters" - "Ein Bürger aus dem Bilderbuch" - "Der polternde Pastor" - "Das Ein-Mann-Jahrhundert": Überschriften aus den Feuilletons vom Tag, allesamt zu Günter Grass. Vermutlich wurden wichtige Artikel zurückgehalten und Debatten verschoben.
Dabei stirbt einer wie Grass nicht im Feuilleton, sondern mindestens auf Seite 3, wenn nicht noch weiter vorn. Trotzdem sind die Feuilletons voll mit Grass-Stücken. Man könnte fast den Eindruck bekommen, als müsse alles raus, als sei´s die letzte Gelegenheit, über Grass zu schreiben oder nachzudenken. Dabei ist doch der Nachruf gerade bei Dichtern immer auch ein Anfang, eine Ouvertüre zum Nachruhm, der erste Text, in dem das Werk weiterlebt. Wobei der Nachruf immer auch viel von dem preisgibt, der ihn schreibt.
Ein deutscher Nationaldichter
In der WELT erklärt Eckhard Fuhr Grass zum deutschen „Nationaldichter". In der NZZ findet Roman Bucheli:
"Die poetische Wahrheit seines Werkes vervollständigte sich erst in den Widerständen, gegen die sie sich durchzusetzen hatte. Auch daran erkennt man Jahrhundert-Figuren."
Mit weniger großen, dafür aber besonders vielen Worten beackert die SÜDDEUTSCHE das weite Feld Günter Grass. Willi Winkler würdigt als Aufmacher den "Parteisoldaten".
"Günter Grass war ein anarchistischer Dichter, aber er suchte früh die Nähe der Macht. Brandt scheiterte im ersten Anlauf. Aber Grass gab nicht auf. Im Stil der Wehgesänge der Brecht'schen Mutter Courage gab er 1965 die Parole aus: 'Glaubt dem Kalender – im September / beginnt der Herbst, das Stimmenzählen; / ich rat euch, Es-Pe-De zu wählen'. Damit politisiert er eine ganze Generation."
Frankreich blieb "seltsam stumm"
Etwas hilflos berichtet Thomas Hahn in demselben Feuilleton aus Lübeck. Höhepunkt:
"Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe sagt: 'Die Stadt trauert'."
Was soll er denn sonst sagen? Und soll Lübeck nun ganz anders sein? Oder die Welt? "Frankreich", schreibt etwa Joseph Hanimann gleich daneben irgendwie enttäuscht, !das Land der elegant formulierten Erklärungen beim Ableben großer Figuren, blieb in den ersten Stunden nach dem Tod des deutschen Nobelpreisträgers seltsam stumm." Das scheint auch für Dänemark zu gelten. Auch für den Beitrag "Günter Grass und Dänemark" haben die Münchner Platz freigeräumt. Der Untertitel "Eine Liebesgeschichte" wird allerdings vom Text stark relativiert, da ist lediglich die Rede von einem "alten Freund, dessen Poltereien nicht immer den Kern treffen, der aber mit seiner Pfeife am Wirtshaustisch immer hoch willkommen ist."
Grass und die Waffen-SS
Womit wir beim politischen Autor Grass wären. Während Franziska Augstein für die SÜDDEUTSCHE befindet: "Dass Günter Grass als Jugendlicher in der Waffen-SS war, ist keine unverzeihliche Sünde. Es diskreditiert den Mann auch nicht, weder den politisch engagierten Demokraten noch den Schriftsteller", sitzt Andreas Platthaus in der FAZ noch einmal darüber zu Gericht, als sei die Nachricht neu. Dabei verweist er selbst auf deren Erscheinungsdatum – und natürlich auch auf den Erscheinungsort, das eigene Feuilleton:
"'Beim Häuten der Zwiebel' von 2006 sollte das Leben von Günter Grass in ein neues Licht setzen. In dieser Zeitung, die Auszüge daraus vorabdruckte, wurde die beiläufige Erwähnung des Autors, er habe bei Kriegsende der Waffen-SS angehört, als das erkannt, was sie war: Die Enthüllung einer Tatsache, die alles in Frage stellte, was Grass als öffentliche Person für sich in Anspruch nahm."
Für Platthaus steht außer Frage:
"Dass damit auch das literarische Werk beschädigt wurde, war unvermeidlich."
Alexander Kluge: "Ein Findlingsblock"
Gleich mehrere Feuilletons füllen die Seiten mit Stimmen zur Nachricht des Tages. Auf den anscheinend endgültige Vollständigkeit anstrebenden Feuilletonseiten der SÜDDEUTSCHEN gesellt sich zu den üblichen Verdächtigen Alexander Kluge. Wir erfahren, dass der für den 30. April mit Grass verabredet war, und zwar "um gemeinsam über die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs zu sprechen". "Für Freundschaft", schreibt Kluge, "war unsere Augenhöhe zu ungenau" und, ziemlich endgültig:
"Günter Grass ist ein Findlingsblock. Wo er hingerollt ist, wird es nichts Zweites geben."
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