Aus den Feuilletons

Wenn Journalistinnen fliehen müssen

Zhanna Nemzowa, die Tochter des Ende Februar 2015 in Moskau erschossenen russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow, schaut sich am 28.05.2015 die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im früheren Untersuchungsgefängnis des DDR-Staatssicherheitsdienstes in Berlin an.
Die Journalistin Zhanna Nemzowa ist die Tochter des Ende Februar 2015 in Moskau erschossenen russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Tobias Wenzel · 10.06.2016
Der Neubeginn in Deutschland ist nicht leicht. Die "SZ" porträtiert zwei Journalistinnen, die nicht in ihrer Heimat bleiben konnten. Während die Russin Zhanna Nemzowa in ihrem Beruf weiterarbeiten kann, dekoriert Meera Jamal aus Pakistan nun Torten.
"In Pakistan konnte ich arbeiten und nicht leben, in Deutschland kann ich leben und nicht arbeiten."
Mit diesen Worten zitiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Meera Jamal. In Kassel dekoriert sie Torten, obwohl sie viel lieber als Journalistin arbeiten würde. In einer pakistanischen Zeitung habe sie darüber berichtet, wie Kinder in einer Religionsschule geschlagen und zu "Robotern erzogen" worden seien, die nur den Koran auswendig lernten. Danach erhielt sie Morddrohungen und bekam Asyl in Deutschland, wo es für sie allerdings keine Arbeit als Journalistin gibt. Tobias Matern und Frank Nienhuysen erwähnen in ihrem SZ-Artikel aber auch die Russin Zhanna Nemzowa. Sie präsentiert mittlerweile beim Fernsehen der Deutschen Welle eine russische Nachrichtensendung.
Nemzowa ist die Tochter des ermordeten Oppositionsführers Boris Nemzow. Zum Mord an ihrem Vater habe sie sich in Russland öffentlich und mutig geäußert. Der Kreml habe ihre Entlassung bewirken wollen.
"Als sie hörte, dass ein Vertrauter ihres Vaters mit Vergiftungssymptomen in ein Krankenhaus gebracht wurde, ging Nemzowa in den Westen", heißt es in der SÜDDEUTSCHEN.

Hajo Seppelt und das russische Staatsfernsehen

Was Zhanna Nemzowa wohl alles durch den Kopf schießt, wenn sie Friedrich Schmidts und Michael Hanfelds Artikel "Stell dir vor, das russische Staatsfernsehen kommt" in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG liest, in der mit Olga Skabejewa eine offensichtlich Kreml-treue russische Fernsehkollegin beschrieben wird.
"Skabejewa hat eine steile Karriere gemacht", heißt es in der FAZ: "Sie hat Oppositionelle und Ukrainer verleumdet". Und nun sei der WDR-Journalist Hajo Seppelt so unvorsichtig gewesen, Skabejewa in seinem Kölner Hotelzimmer ein Interview zu geben. Seppelt, journalistischer Experte in Sachen Doping, behauptet in seinem jüngsten Fernsehbeitrag, russische Leichtathleten würden systematisch dopen.
In dem Beitrag werde auch Sportminister Witalij Mutko selbst belastet. Es sei möglich, dass Russlands Leichtathleten nun von den Olympischen Spielen ausgeschlossen würden. Die FAZ zitiert aus dem fertigen Fernsehbeitrag, den wiederum das russische Staatsfernsehen über Hajo Seppelt gedreht hat. Ob er denn nie von einem westlichen Geheimdienst bezahlt worden sei, habe Olga Skabejewa gefragt.
Nein, er sei ja kein Agent, sondern Journalist, habe Seppelt geantwortet. Sie wiederum halte aber nicht die gebotene Distanz als Journalistin ein. "Ich versuche, ein Freund meines Landes zu sein", habe Skabejewa darauf gesagt. Irgendwann sei Seppelt der Kragen geplatzt. Er habe sich gegenüber Skabejewa auf "faschistische Weise" aufgeführt, behauptet das russische Staatsfernsehen. Hajo Seppelt schildert der FAZ dagegen, wie er, als die Fragen immer absurder geworden seien, das Team gebeten habe, sein Hotelzimmer zu verlassen:
"Die Crew sei aber einfach nicht gegangen und habe weiter gefilmt, nach einer halben Stunde habe er Olga Skabejewa hinaus expediert. Er habe die Security des Hotels gerufen, doch auch im Treppenhaus und auf der Straße habe sich der Tumult fortgesetzt, bis er die Polizei rief und die Crew des russischen Staatsfernsehens geflüchtet sei."
Hajo Seppelts Fazit:
"Wir haben mit unserem Film offensichtlich den schlimmsten Nerv getroffen." Und: "Es wird als Angriff auf den Kreml ausgelegt."

Ritual mit der Ersatzbrille

Im Hotel beginnt auch die Geschichte, die der Schriftsteller Georg Klein in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG erzählt. Es geht um sein Ritual, vor Lesungen noch im Hotel zu überprüfen, ob er das Etui mit der Ersatzbrille dabei habe. Nur ein einziges Mal sei aber die Ersatzbrille während einer Lesung zum Einsatz gekommen, nämlich als sich ein Glas aus der "Auftrittsbrille" gelöst habe:
"'Dass Sie plötzlich diese andere Brille aufgesetzt haben, hat natürlich etwas zu bedeuten!', meinte wenig später eine Zuhörerin. "Das machen Sie immer an einer bestimmten Textstelle! Stimmt's?'"
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