Aus den Feuilletons

Weiße Weihnacht ohne Hut

Eine junge Frau in einer verschneiten Landschaft.
Geschenke kann man kaufen –Schnee nicht. Und so warten wir jedes Jahr wieder gespannt darauf, ob es eine weiße Weihnacht gibt. © Unsplash / Connor Irwin
Von Arno Orzessek  · 19.12.2017
Das alljährliche Warten auf Schnee habe etwas Mythisches, findet eine Autorin der ZEIT. Sollte es eine weiße Weihnacht geben, hilft nur der Griff zur Mütze. Denn der Hut ist aus der Mode gekommen, bedauert die FAZ.
"Endlich schneit es!" – heißt es in der Wochenzeitung DIE ZEIT. Ob die Behauptung korrekt ist oder den meteorologischen Fake News zugerechnet werden muss, das entscheiden Sie bitte nach einem Blick aus dem Fenster selbst, liebe Hörer.
Fest steht, dass sich die ZEIT-Autorin Elisabeth von Tadden "ein paar weihnachtliche Gedanken über das schöne, sentimentale, rätselhaft weiße Element" macht und auch die Schnee-Sucht der christlichen Weihnachts-Liebhaber bedenkt. Die Schnee-Kritikerin Elisabeth von Thadden betont in der Weihnachts-Ausgabe der ZEIT:
"Nicht um das Bangen, ob überhaupt Schnee in der Luft liegt, sondern um sein naturordentliches Alle-Jahre-wieder geht es in dem vorweihnachtlichen Warten auf Schnee. Als verspreche Weihnachten, mithin Jesu Geburt, nicht präzise das Gegenteil: keine mythische Wiederkehr, sondern dass ein neuer Anfang in die dunkle Welt komme, der alles Irdische in neuem Licht erscheinen lässt. Im historischen Bethlehem geschah das ganz ohne Schnee. Weiße Weihnachten: Das hieß im Grunde, eine menschheitsgeschichtliche Aporie grandios neu zusammenzunageln und den Einbruch des radikal Neuen in die Geschichte feierlich mit dem guten alten naturverhafteten Schnee-Mythos zu verkleben."
Wenn man bei Schneefall durch die Gegend spaziert und einem trotzdem keine Flocken auf den Kopf rieseln, dann liegt das – na klar – an der Kopf-Bedeckung…
Und eine sehr schöne, gerade zum Mantel, ist ja der Borsalino, wie man zum Beispiel in der Schlussszene von Casablanca sehen kann, als sich Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann verabschieden… Wenn auch – das zur Abwehr besserwisserischer Cineasten-Kommentare – nicht bei Schneefall, sondern im Nieselregen.

Das Ende des Borsalino-Huts

Allein, die 1857 von Giuseppe Borsalino gegründete Firma hat nun Insolvenz angemeldet. Und das, so konstatiert Gerhard Stadelmaier in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, "ist kein gutes Zeichen für uns Kopfkünstler".
"Schauen wir uns um auf den Straßen oder in den Foyers, dann sehen wir, nehmt alles nur in allem, glattrasierte oder stoppelhaarige Schmalmännerschädel mit traurigen, freudlosen Depressionsaugen. Häuptlings sind ihnen als letzte modische Schreie entweder komische kürzestkrempige Deppenhütchen, die an Rentnerkarikaturen der untergegangenen DDR erinnern, oder aber weit gestrickte, gepudelte Wollfetzenmützen beigegeben. […] Man kann sich diese Herren auch kaum in einem Borsalino vorstellen. Denn sie zeigen, dass ihnen ihre Köpfe gleichgültig sind."
So der FAZ-Kopfbedeckungskritiker und Borsalino-Connaisseur Gerhard Stadelmaier, der dem Neumodischen mal wieder im Modus des rhetorischen Erbrechens entgegentritt.
Phillip Cassier geht es eher umgekehrt. Er behauptet in der Tageszeitung DIE WELT unter dem wenig melancholischen Titel "Hut ab" über den Borsalino:
"Heutzutage würde niemand mehr auf die Idee kommen, sich so ein Teil ganz selbstverständlich aufzusetzen, wenn er das Haus verlässt."

Bölls Sehnsucht nach Erlösung

Heinrich Böll trug keinen Borsalino – Böll trug Baskenmütze. Aber nicht das ist der Grund, warum Helmut Böttiger in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter dem Titel "Trompetenstöße in schwüler Stille" an den Nobelpreisträger erinnert – Böll wäre am 21. Dezember 100 Jahre alt geworden.
"Es ist kein Zufall [so Böttiger], dass seine polemischen, die Regierung in Bonn attackierenden Artikel mit der deutschen Wiederbewaffnung begannen. Sie bildete die für ihn bedrohlichste Konsequenz der deutschen Verdrängungsmaschinerie. Böll legte sein 'Bekenntnis zur Trümmerliteratur' in einer Zeit ab, als die Trümmerfrauen schon wieder zu porentief rein waschenden Hausfrauen geworden waren. Seine unverwechselbare Sprache, die innere Not und Sehnsucht nach Erlösung in schnörkellosen Sätzen miteinander verband, erklang dann 1953 im Roman 'Und sagte kein einziges Wort' am klarsten."
Man muss gar nicht blutjung sein, um Bölls große Zeit sehr vergangen zu finden – oder, liebe Hörer? – Aber ob so oder so: Wir haben für heute, mit einer Überschrift der WELT – "Ausgespielt."
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