Aus den Feuilletons

"Gegen die Resignation steht das Prinzip Hoffnung"

3252827 12/08/2017 Protesters against US recognizing Jerusalem as Israel's capital, in Jerusalem. Valeriy Melnikov/Sputnik Foto: Valeriy Melnikov/Sputnik/dpa |
Demonstration gegen die US-Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt. © picture alliance/dpa/Valery Melnikov
Von Ulrike Timm · 16.12.2017
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" betrachtet die fallende Beliebtheit von Martin Schulz, die "Zeit" die steigende Angst in Jerusalem. Und Heinrich Böll? Der erfährt sowohl Wertschätzung als auch Spott in den Feuilletons dieser Woche.
GroKo? Koko? Oder doch bloß Kita? Der Beziehungsstatus zwischen Union und SPD bleibt weiter ungeklärt, aber alle sind jetzt gaaaaanz offen füreinander…. und das kann länglich werden.
"Man kann nicht behaupten, dass die Berliner Sondierungsgespräche, gleich in welcher Farbkombination, überstürzt geführt würden", schreibt denn auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und schwört uns auf ein Pfingstwunder ein.
"Man kennt sich eben, deswegen dauert ja alles so lange." Immerhin verhandeln – Entschuldigung: sondieren! - drei erheblich angeschlagene Parteichefs miteinander, und die 83,7%, mit denen Horst Seehofer gerade zum obersten CSU-ler gekürt wurde, bezeichnet man im Politikjargon ja diplomatisch nicht als Klatsche, sondern als "ehrliches Ergebnis".

Prekäre Lage von Martin Schulz

Nachdem so einige Kommentare der letzten Tage die gemeinsame Überschrift "Wohin mit Martin?" vertragen hätten, spießt Berthold Kohler in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN unter der Überschrift "Fraktur – ergebnisoffen" die prekäre Lage von SPD-Chef Schulz auf, in die der Mann sich, nunja, auch selbst gebracht hat:
"Die Beziehung zwischen dem ersten und allen anderen Sozialdemokraten gliedert sich in fünf mehr oder weniger kurze Stadien, die so präzise und unbeirrbar ineinandergreifen wie die Zahnräder in August Bebels Taschenuhr: Hoffnungsträger (noch ohne formelles Abstimmungsergebnis, gefühlte Zustimmung der Genossinnen und Genossen aber bei 130 Prozent); Heilsbringer (Rückgang auf 100 Prozent); Wir-können-ihn-doch-diesmal-nicht-schon-nach-acht-Monaten-feuern (82 Prozent); Als-Außenminister-taugt-er-noch (74 Prozent); Lafontaine (62 Prozent)."
Autsch - dagegen muten bayerische Seehofer-Klatschen-Ergebnisse fast triumphal an. Und Edo Reents – der in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG kurz vor Weihnachten eben auf das Pfingstwunder einstimmen will – resümiert nüchtern: "Mögen auch die Tage der real existierenden großen Koalition gezählt sein – es werden noch viele sein."

Angst vor blutigen Auseinandersetzungen in Jerusalem

In wenig mehr als ein paar Twitter-Sätzen haute US-Präsident Donald Trump mühsam aufrechterhaltene diplomatische Hoffnungen für wohl sehr lange Zeit zu Bruch. "Was denkt ihr über Jerusalem?" – fragt die ZEIT und zieht das Nachdenken über die Stadt, die für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen ein spirituelles Zentrum ist, durchs gesamte Blatt.
"Die vielen Jahre, die ich in Jerusalem lebte, haben mich deutlich spüren lassen, dass der Ostteil der Stadt in jeder Hinsicht arabisch ist", meint die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalev, und weiter: "Im Hinblick auf die Sitten und Gebräuche dort, in kultureller und menschlicher Hinsicht und im Hinblick auch darauf, dass Jerusalem keine vereinte Stadt ist, sondern eine doppelte."
Mit Blick auf die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als israelische Hauptstadt anzuerkennen, fürchtet Shalev in der ZEIT, dass die Stadt wieder "zum Zentrum einer blutigen Auseinandersetzung" werden könne. Trumps Erklärung sei "einseitig und empörend", bestätige andererseits aber auch eine bestehende Realität.
In dieser Woche gibt es zahlreiche Artikel zur israelisch-arabischen Realität. Das liegt nicht nur am US-Präsidenten, sondern auch an den teilweise eskalierenden Protesten in Deutschland, wo sogar israelische Flaggen in Flammen aufgingen.
Jana Grossmann, die Bloggerin hinter irgendwie jüdisch aus Berlin, beschreibt in der FAZ, was ihr besonders nah ging: "Es macht keinen Unterschied, ob jemand, der mich wegen meiner Religion hasst, einen Thor-Hammer um den Hals trägt, ob er sich zum Beten niederkniet oder das heilige Spaghettimonster anbetet. Antisemitismus ist Antisemitismus, und Hass ist Hass."
Und die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG stellt sehr ausführlich ein Buch vor, in dem sechsundzwanzig Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die in den besetzten palästinensischen Gebieten recherchierten – sie sehen kaum ein Licht am Horizont. "Gegen die vollständige Resignation – und den Ausbruch der nächsten Intifada – steht das Prinzip Hoffnung."

Wertschätzung und Spott für Heinrich Böll

So hätte es, sprachlich etwas raffinierter, vielleicht auch der Schriftsteller Heinrich Böll gesehen. Der Literaturnobelpreisträger wäre dieser Tage 100 Jahre alt geworden, er war lange Zeit fast abgeschrieben als guter Mensch von Köln und erlebt jetzt – zumindest in den Feuilletons – große Wertschätzung und womöglich damit auch ein Lese-Revival. Böll sei ein "Einzelkämpfer gegen verrottete Autoritäten" gewesen, nicht bloß das "Gewissen der Nation", meint Markus Joch in der TAZ.
Der Schriftsteller Thomas von Steinaecker träumt in der WELT am Sonntag gar von "Böll-Country" und verweist vor allem auf die frühen Erzählungen des Autors: "Ich glaube, diese Erfahrung des Krieges in all seinen Aspekten ist die Voraussetzung für die gesamte schriftstellerische Arbeit Bölls".
Klar, auch Steinaecker kennt und zitiert das böse Bonmot eines anderen Jubilars – Robert Gernhardt wäre in dieser Woche 80 Jahre alt geworden, und er kanzelte den manchmal über-engagierten Nobelpreisträger gerne so ab: "Er wär überhaupt erste Sahne – wären da nicht die Romane!".
Allein, die WELT zieht dieses Fazit: Heinrich Böll "scheint genau die Art politisch engagierter Schriftsteller gewesen zu sein, die sich heute wieder alle wünschen. Die Frage ist, ob wir auf ihn hören würden." Vielleicht sollten wir ihn erstmal einfach wieder lesen. Womöglich ist ja in den nächsten Tagen etwas Zeit und Muße dazu.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG gibt sich vorweihnachtlich und bietet einen Querbeet-Spaziergang durch die festtägliche Pop-Musik. Die springt ein, wenn "wir die alten Weihnachtshymnen Strophe um Strophe vergessen haben" und hat längst Klassiker-Status. Wobei man ja wenigstens beim Festschmaus etwas experimentierfreudiger werden könnte.
Muss ja nicht gleich "Trüffel und Büchsenfraß" geben – eine Überschrift der TAZ. Und wenn noch ein Geschenk fehlt weiß der TAGESSPIEGEL Rat. Melanie Berger hat sich in Museumsshops umgeschaut und "Botticelli in Badelatschen" entdeckt. Für 12,90.- können Sie darin losschlappen…
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