Aus den Feuilletons

Weihnachten im Blätterwald

Mit einem großen Streichholz zündet ein Mann eine Kerze an einem Weihnachtsbaum in Hamburg an
Besinnliche Stimmung überall - auch in den Feuilletons. © picture alliance / dpa / Bodo Marks
Von Tobias Wenzel · 23.12.2015
Es weihnachtet in den Feuilletons: Für die "FAZ" und die "Welt" haben Autoren besinnliche Geschichten geschrieben. Die "Taz" aber bleibt auch an Heiligabend politisch - und beschäftigt sich mit der Überwachung durch intelligente Straßenlaternen.
"Gott sei Dank ist auf Ungläubige Verlass", heißt es schelmisch in der WELT. "Die Muße wird heute von der Ruhezone ersetzt", steht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG unter der Überschrift "Stille Macht". Ja, es weihnachtet in den Feuilletons, wohin man auch blättert. Die Schriftstellerin Katharina Hacker hat für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG eine Weihnachtsgeschichte geschrieben. Das hat für die WELT auch die Journalistin Claudia Becker getan. Im Hinterkopf hatte sie dabei die vielen heutigen Frauen, die "auf der Flucht sind vor Krieg und häufig auch noch bedroht von den Wächtern ihrer eigenen Wertegemeinschaft".
"Es lohnt sich in diesen Tagen beim Anblick der Krippe", schreibt Becker, "etwas anderes zu sehen als eine heilige Familie, ein trautes Paar, einen holden Knaben mit lockigem Haar, sondern das, was es eher war, vor mehr als 2000 Jahren, als Jesus geboren wurde: Stress. Todesangst. Überlebenskampf."
Eine Krise also. Krisen können aber auch ihr Gutes haben. "Glück ist kein Zustand, sondern eine Krise." Diesen Satz, mit dem Gilbert K. Chesterton die Weihnachtserzählungen von Charles Dickens kommentiert hat, zitiert Jürgen Kaube in der FAZ mit Blick auf die Weihnachtsmärkte:
"Es [das Glück] flammt auf, wenn etwas Neues eintritt, wenn etwas eine Stunde hat, wenn es in ihr zunächst still war und dann geläutet wird, wenn die Tür zuerst geschlossen ist und sich dann öffnet, wenn die Geschenke erst eingepackt sind und dann ausgepackt, wenn das Kind erwartet wird und dann da ist. Vielleicht tragen die Weihnachtsmärkte auf ihre Weise zu einer solchen Krise bei: weil sie beweisen, dass Weihnachten nichts ist, was es außerhalb von Weihnachten geben könnte."
Wenn Straßenlaternen zu Spionen werden
Wenn da nur nicht diese Dunkelheit wäre, die vielen zu schaffen macht. Dabei sollten wir eher das neue Licht fürchten. Behauptet jedenfalls Christiane Kühl in der TAZ. Ungefähr drei Milliarden Straßenlaternen gebe es weltweit. Viele von ihnen sollen in Zukunft digitalisiert, also mit Halbleitertechnik ausgestattet werden.
"Dass Smart Lights leuchten, ist dabei eine ihrer weniger interessanten Qualitäten. In Zukunft spricht die Straßenlaterne über dich", schreibt Kühl und entwirft ein gar nicht aus der Luft gegriffenes Szenario der Überwachung:
"Philips wandelt Laternen in Mobilfunkmasten, was das Tracking von Handys ermöglicht. Lampen, die registrieren, wer das Haus verlässt und wo sich Menschen versammeln; Lampen mit Zählfunktion und Gesichtserkennungsprogramm. […] Night is over. Drei Milliarden Laternen, hoch über allen Straßen, Wegen und Pfaden dieser Welt – das PRISM-Programm der NSA ist ein Fliegenschiss dagegen."
Aber an Heiligabend bleibe alles beim Alten, überwacht würden wir ja schon jetzt: "Der liebe Gott sieht alles. Und die funkelnde Lichterkette vorm Fenster bald auch."
Vom Blick in die Zukunft zum Blick zurück: "Abenteuer, die einst mit dem Zauberwort der Ferne ihren Anfang nahmen, sind rar geworden", schreibt Martin Meyer in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Etwas wehmütig sieht er in die Vergangenheit, in jene Zeit, als die Welt noch nicht über Computer vernetzt, als noch nicht alles so beschleunigt war. Meyer erinnert sich daran, wie der Philosoph Hans-Georg Gadamer einen zugesicherten Artikel für eine ansonsten bereits fertige Sonderbeilage nicht lieferte: "Doch der rüstige Greis sammelte Kräfte und schrieb den Text im Flugzeug von Zürich nach New York. Acht Stunden Flugzeit kamen gerade recht. Das von Hand gefertigte Manuskript wechselte am Airport in die Gegenmaschine, die dafür ihren Start um zwanzig Minuten verschob", schreibt Martin Meyer. Und:
"Der Fortschritt hat solchen Heroismus quer durch Räume und Zonen ziemlich obsolet gemacht. Allerdings, eine Genugtuung bleibt: Das Schreiben geht dem Senden voraus."
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