Aus den Feuilletons

Was ist deutsch?

DB Logo auf ICE im Hauptbahnhof von Frankfurt Main
Wo ist man, wenn ein Mitreisender im leeren Zug darauf besteht, auf seinem reservierten Platz zu sitzen? © dpa
Von Klaus Pokatzky · 11.08.2018
"Deutsch ist das eine und sein Gegenteil", schreibt Jürgen Kaube in der "FAZ". Was dem einen die Kultur des Erinnerns, ist dem anderen das Gegenteil: Der Besuch des AfD-Politikers Stephan Brandner in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald beschäftigt die "taz".
"In welchem Land ist man, wenn im komplett leeren Zug jemand sich fragt, in welchem Land man ist, wenn ein Mitreisender darauf besteht, auf seinem reservierten Platz zu sitzen?" Das fragte die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG – und wer jemals im ICE gefahren ist, der kennt die Antwort: Deutschland.
"Die Frage, was deutsch ist, lässt sich nicht klären", meinte Jürgen Kaube und wagte sich dann an eine Klärung: "Also ist deutsch das eine und sein Gegenteil: die Ingenieurskunst und die Romantik, die Rechthaberei und die Unentschiedenheit, die Sehnsucht und der Golf Diesel, das Protestieren und das Mitlaufen, der Außenhandelsüberschuss und der Tourismus, die Querelen um die Einwanderung und die Gedenkkultur."

Erinnerungskultur und ihr Gegenteil

Was dem einen die Kultur des Erinnerns, ist dem anderen das Gegenteil. "Am Mittwochnachmittag hat der AfD-Abgeordnete und Vorsitzende des Bundestagsrechtsauschusses, Stephan Brandner, die KZ-Gedenkstätte Buchenwald besucht", schrieb die Tageszeitung TAZ und gab dann wieder, was der Direktor der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora, Volkhard Knigge, in einem Interview mit unserem Sender zu dem AfD-Besucher gesagt hatte:

"Brandner habe sich dezidiert einer grundsätzlichen Klärung über in der rechten Partei weitverbreitete geschichtsrevisionistische und geschichtswissenschaftlich nicht begründbare Positionen verweigert. Er habe sich zudem klar und deutlich zu seinem Parteikollegen Björn Höcke bekannt, der in Buchenwald Hausverbot hat, seit er vom Berliner Holocaustmahnmal als 'Mahnmal der Schande' gesprochen hat."
Gedenkstätte KZ Buchenwald: Blick durch den Stacheldrahtzaun auf das ehemalige Häftlingslager des früheren KZ Buchenwald, aufgenommen am 30.08.2017 bei Weimar (Thüringen)
Der AfD-Politiker Stephan Brandner besuchte vor ein paar Tagen die KZ-Gedenkstätte Buchenwald© picture alliance / Peter Gercke

Jugend erinnert

Was ist noch mal das Gegenteil von Kultur? "Junge Menschen sollten sich nach Ansicht von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) stärker mit der deutschen Vergangenheit auseinandersetzen", erfuhren wir aus der Tageszeitung DIE WELT über das neue Programm "Jugend erinnert" der Ministerin:
"In Zusammenarbeit mit Historikern und Bildungsexperten sollten jetzt praxisnahe Programme entwickelt werden." Das ist gut in Twitter-Zeiten. "Vor einem halben Jahr fand ich Twitter egal und bescheuert, mittlerweile habe ich Angst davor", steht in der WELT AM SONNTAG.

Twitter und der digitale Mob

"Was ist an den Meinungen anderer Leute eigentlich so wichtig, dass man sie ständig und überall erfahren muss?", fragt Boris Pofalla, der seit ein paar Monaten auch dabei ist. "Warum soll man sich freiwillig den digitalen Mob ins Haus holen?" Antwort: "Weil es eben auch Spaß macht, bei Schlägereien zuzusehen." Einfach wieder austreten, Kollege Pofalla.
Das Twitter-Logo auf einem Mobiltelefon, gehalten von einer Hand, im Hintergrund eine Computertastatur
Im Sozialen Netzwerk Twitter herrschen andere Regeln. Die einen lieben es, die anderen haben Angst davor.© imago/ZUMA Press
"Die SPD hat Geschichtskoller", fand der SPIEGEL. "Darum schafft die Parteivorsitzende die 'Historische Kommission' der Partei nun ab", schrieb Nils Minkmar über eine Erinnerungsunkultur der sozialdemokratischen Art in schnelllebigen Twitter-Zeiten.

Gegen Abschaffung der "Historischen Kommission" der SPD

"Die Historische Kommission wurde 1981 auf Anregung von Peter Glotz gegründet – an seinen Büchern kann man studieren, wo die SPD falsch abgebogen ist. Solche intellektuelle Anstrengung nun sein zu lassen wäre ein fataler Schritt in Richtung einer geistfeindlichen, sozialpolitischen Fachpartei, die von der Droge Arbeit, von Currywurst und Volkswagen nicht loskommt."
Willy Brandt (l) und Peter Glotz (r) im Gespräch auf dem SPD-Parteitag am 27.08.1986 in Nürnberg. In einer geheimen Abstimmung entschieden sich die Delegierten auf dem Parteitag der Sozialdemokraten in Nürnberg fast einstimmig für Johannes Rau als Kanzlerkandidaten für die nächtste Bundestagswahl.
Peter Glotz hat die "Historische Kommission" der SPD 1981 gegründet.© dpa
Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE wird die Kommission gebraucht "gerade für die Reflexion über linkes Denken, geschichtliche Veränderung und gesellschaftliches Engagement. Wenn man die Krisen der Partei der vergangenen Jahre betrachtet, hat es davon eher zu wenig als zu viel gegeben", meinte Paul Ingendaay und verwies auf einen Appell der Historikerin Christina Morina zum Erhalt der Historischen Kommission:
"Mehr als 250 Historiker und Gelehrte haben sich dem Aufruf bereits angeschlossen, quer durch die Generationen und politischen Neigungen – Wolfgang Benz, Gisela Bock, Magnus Brechtken, Norbert Frei, Mary Fulbrook, Rebekka Habermas, Jürgen Kocka, Paul Nolte, Andreas Wirsching und viele mehr." Willy Brandt und Helmut Schmidt hätten sicherlich auch unterschrieben.

Zum 90. Geburtstag von Gerd Ruge

"Wenn etwas Wichtiges passierte, konnte man ihm stets vertrauen. Das, was er reportierte, entsprach der Wahrheit", stand in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum 90. Geburtstag von Gerd Ruge: dem "Reporter der ersten Stunde", so die FRANKFURTER ALLGEMEINE über den Mann, der uns jahrzehntelang die weite Welt ins heimische Fernsehzimmer gebracht hat – oder, so die SÜDDEUTSCHE, "der für eine gehörige Zeit zur Grundausstattung des deutschen Fernsehmöbels zählte, wie Hans Hoff uns erinnerte.
ZDF - MARKUS LANZ. Journalist Gerd Ruge anläßlich der ZDF - Talkshow Markus Lanz am 22.04.2014 in Hamburg. ZDF Markus Lanz Journalist Gerd Complaint during the ZDF Talk show Markus Lanz at 22 04 2014 in Hamburg
Der Journalist Gerd Ruge gehörte für lange Zeit fast schon zum Mobiliar in deutschen Wohnzimmern.© imago stock&people/ Dlf
"Ruge war immer ein Mann für den Hintergrund. Das lag vor allem daran, dass es sehr lange sehr viel Hintergrund gab. Weil nicht jeder umfallende Reissack in Longsheng gleich als Pushnachricht auf den Smartphones in aller Welt auftauchte, musste jemand raus und die Dinge in die deutsche Welt holen. Es gab noch Unbekanntes zu entdecken und den Fernsehzuschauern daheim zu vermitteln, und einer der besten Vermittler jener Jahre hieß nun mal Gerd Ruge."

"Er ließ vor allem die Menschen zu Wort kommen"

Dabei interessierten ihn weniger die Prominenten und die Politiker: "Er ließ vor allem die Menschen zu Wort kommen", lobte die FRANKFURTER ALLGEMEINE. Der Mitbegründer der deutschen Sektion von amnesty international konnte aber auch zupacken. "Boris Pasternak, den russischen Autor von 'Doktor Schiwago', hat Ruge 1958 in Peredelkino interviewt. Daraus entstand eine Freundschaft, aus der heraus er Pasternak und seiner Familie mit gewagten Geldübergaben half, als die sowjetische Staatsführung den Autor wegen seines Literaturnobelpreises kaltstellte", lasen wir im Berliner TAGESSPIEGEL.
"Jahrzehnte später, als Ruge während des Putsches gegen Boris Jelzin erneut in Russland tätig war, stellte er kurzerhand zwei in Misskredit geratene russische Fernsehjournalisten im Moskauer ARD-Büro ein." Glückwunsch, Kollege!
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