Aus den Feuilletons

Vorweihnachtliche Benommenheit

Ein als Weihnachtsmann verkleideter Mann trinkt Glühwein und hebt dabei den Zeigefinger.
Weihnachten ist nicht nur das Fest der Liebe, sondern auch der dicken Luft und der liebevollen Ausweglosigkeiten. © dpa / Jens Kalaene
Von Klaus Pokatzky · 15.12.2018
Zu Weihnachten werden wieder mehr Bücher gekauft, Familienfehden begraben und gesundheitsschädliche Dämpfe beim Auspacken der Geschenke eingeatmet. Schöner kann es kaum kommen. So schön, dass sich sogar Atheisten nach dem Fest der Liebe sehnen.
"Die Deutschen kaufen weit weniger Bücher als vor zehn Jahren", stand im Berliner TAGESSPIEGEL. "Vergangenes Jahr haben 20,2 Millionen private Haushalte Bücher gekauft", lautete die Nachricht. "Vor zehn Jahren waren es noch 23,4 Millionen Haushalte gewesen." Herr Jesus, hilf!
"Zwanzig Prozent seines Jahresumsatzes sind es oft, die der Buchhandel vor Weihnachten erwirtschaftet", baute uns da die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG ein wenig wieder auf. "Allen Unkenrufen zum Trotz hält die Liebesbeziehung Weihnachten und Buch bis heute", freute sich Rainer Moritz.
"Wie wir an diesen Tagen ohnehin Traditionen pflegen, von denen wir den Rest des Jahres über wenig halten, wie wir als Nichtkirchgänger plötzlich lauthals in der Christmette ‚O du fröhliche!‘ schmettern, so geben wir uns in dieser emotional aufgeladenen Zeit technikfern und verschenken teure Bücher – wie früher."

Die Wichtigkeit von Weihnachten für Atheisten

Eine knappe Woche noch – dann ist es endlich wieder soweit. "Auch die meisten Atheisten hängen am Christfest", teilte uns CHRIST UND WELT mit, die Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Warum kämpfen sich gerade dann Tanten über die Autobahnen zu der Familienhälfte, die sie sonst nur über Geburtstagskarten kennen", fragte die bekennende Atheistin Valerie Schönian, "beißen Cousins nebeneinander in den Gänsebraten, obwohl sie sich eigentlich nicht ausstehen können?"
Ihre Antwort: "Weil Weihnachten mittlerweile bekanntlich auch das Fest der Liebe ist, der Familie. Beides könnte man natürlich ständig feiern, aber die meisten vergessen oft, dass es da etwas zu feiern gibt. Und das gilt vor allem für Atheisten." Und nicht zuletzt für alle Kinder.

Kinder und Kunst

"Wie überrede ich mein Kind dazu, ins Kunstmuseum zu gehen?", ist da die weihnachtliche Frage in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. "Behaupten Sie auf keinen Fall, dass Museen spannend wie ein Krimi seien oder Kunst die Menschen seit der Höhlenzeit fasziniere et cetera", rät Julia Voss allen kunstbegeisterten Eltern.
"Geben Sie sofort zu, wenn Sie eine Ausstellung langweilt. Zeigen Sie Ihren Kindern die Werke, die Ihnen überhaupt nicht gefallen. Überspielen Sie nie, wenn Sie ratlos, genervt oder sogar wütend auf das sind, was vor Ihnen auftaucht, an der Wand, auf einem Sockel oder Bildschirm. Mehr noch: Fordern Sie Ihr Kind auf, Ihnen die schlechtesten Werke in den Sälen zu zeigen und sprechen Sie darüber."

Gerüche der Liebe

Vergessen wir uns Erwachsene nicht. "Einige von Ihnen werden zu den Feiertagen ein neues Smartphone, Tablet oder Laptop erhalten", versprach uns die Tageszeitung TAZ. "Packen Sie Ihr Gerät aus. Alles fühlt sich gut an. Besonders das Aufreißen der Folienschweißnaht. Schnüffeln Sie Druckerschwärze und Plastik. Inhalieren Sie das dunstende Bisphenol A und den flüchtenden Chinasmog", war der erste Rat von Svenja Bednarczyk:
"Gebrauchen Sie Ihr neues Gerät, bis sich alles eingeruckelt hat", lautete Tipp Nummer 15: "Bemerken Sie dann einen schwerwiegenden Software-/Hardwarefehler. Schicken Sie das Gerät ein und beginnen nach drei bis zwölf Wochen Wartezeit von vorne." Und freuen Sie sich, dass Sie mit Ihren Problemen nicht alleine sind. "
Am liebsten möchte ich den Rechner sofort aus dem Fenster werfen, wenn ich ihn nicht täglich brauchte", lasen wir in der NEUEN ZÜRCHER. "Updates und Verbesserungen jede Woche, die meist Verschlimmerungen sind und immer neue Zertifikate, Zugangshürden und Kennwörter von einem fordern", beklagte Hans Magnus Enzensberger sein und unser aller hartes digitales Dasein.

Wie schlecht geht es den Franzosen wirklich?

"Dass viele Franzosen sich das Recht auf den Aufstand nehmen, ist klar", führt uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG in die noch härtere Politik mit ihren gelben Westen zurück. "Den Franzosen gehe es gar nicht so schlecht", gibt Niklas Maak eine gängige Auffassung wieder – und erteilt ihr eine gnadenlose Absage:
"Ein Azubi bekommt 700 Euro, 300 Euro zahlt er für Benzin, eine Wohnung auf dem Dorf ist billiger als dort, wo er arbeitet, aber dafür brauche man eben ein Auto. Ein Arbeitsloser hat 500 Euro im Monat, nach Abzug der Miete 150, macht fünf Euro am Tag. 1986 bei der Gründung des Hilfswerks ‚Restaurants der Herzen‘ beanspruchten 70.000 Franzosen die Gratisessen, heute sind es mehr als 900.000."

Begründet ausgerechnet der Brexit die "EU der Bürger"?

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG warf einen Blick über Frankreich hinaus: "Noch ist allerdings unklar, wie sich die Bewegung der ‚Gelbwesten‘ in Frankreich zur EU stellt", schrieb Gustav Seibt und erinnerte an die europafreundlichen Demonstranten der Bewegung "Pulse of Europe" – aber auch an das, was im Brexit-Land zu beobachten ist:
"Ausgerechnet in Großbritannien vermag die EU riesige Plätze zu füllen. Die Leute schwenken Fahnen und Transparente mit dem blauen Sternenbanner, gern mit Herzchen geschmückt. Die Umfragen zeigen eine mittlerweile größere Hälfte der Bevölkerung, die immer noch für den Verbleib in der EU ist. Im Land des ätzendsten Brüssel-Spotts will sie zu Brüssel zurück."
Das Fazit von Gustav Seibt lässt hoffen: "Wenn Europa Glück hat, wird man im Rückblick einmal sagen: Der Brexit hat die EU der Regierungen beerdigt und die EU der Bürger begründet."

Oberpfälzer Bierbraukultur ist Unesco-Kulturerbe

Und weil Weihnachten so nahe vor der Tür steht, wollen wir auch harmonisch enden. "Die Handwerksmüllerei in Wind- und Wassermühlen, die Helgoländer Dampferbörte (Ausbooten) und die oberpfälzische Bierbraukultur sind Immaterielles Kulturerbe", war im TAGESSPIEGEL über die neuesten Ergänzungen in der Liste des Unesco-Kulturerbes zu lesen. "Auch die Haubergswirtschaft im Siegerländer Wald und der Osterräderlauf in Lügde sind neu in das deutsche Verzeichnis aufgenommen worden."
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