Aus den Feuilletons

Von wegen Bewältigungs-Weltmeister

Noch eingeschweißte Exemplare der kritischen Edition von Hitlers "Mein Kampf"
Noch eingeschweißte Exemplare der kritischen Edition von Hitlers "Mein Kampf" © Deutschlandradio / Stefan Koldehoff
Von Tobias Wenzel · 17.05.2016
Deutschland liest: Hitlers "Mein Kampf" und Sarrazins "Wunschdenken", vermeldet die aktuelle Sachbuch-Bestsellerliste. So weit könne es dann wohl doch nicht mit der Vergangenheitsbewältigung sein, meint die "Berliner Zeitung".
"Das wird man ja wohl noch verbieten dürfen", hat Erik Lindner seinen Artikel für DIE WELT genannt. Die AfD will ja Minarette und das Schächten generell verbieten. Schächten sei in Europa Muslimen und Juden aufgrund der rituell-religiösen Bedeutung erlaubt. Die AfD bezeichne nun das Schächten als "qualvoll", gebe also den "Tierschutz" als vermeintlichen Grund für das geforderte ausnahmslose Schächtverbot an.

Ist ein Schächtverbot islamfeindlich?

"Diese Logik gab es schon einmal", schreibt Lindner. Ende des 19. Jahrhunderts hätten sich Veterinäre und Tierschützer in der Schweiz und in Deutschland gegen das betäubungslose Schlachten ausgesprochen, angeblich, um Tierquälerei zu verhindern. Aber oft habe sich dahinter Antisemitismus verborgen:
"Ein jüdischer Metzger, der dem Tier den Hals durchschnitt, galt als Beleg für die Fremdartigkeit und Brutalität der Juden."
Lindner sieht auch bei der AfD den Tierschutz als Scheingrund für das Generalverbot des Schächtens; der wahre Grund sei Islamfeindlichkeit:
"Die neue Polemik gegen das Schächten könnte Millionen Moslems in Deutschland als rückständig verächtlich machen. Die Juden geraten dabei wie zufällig mit in den Fokus. Gegen diese Ressentiments sollte eine aufgeklärte, liberale Gesellschaft entschieden angehen."

Thilo Sarrazin und Hitler führen die Bestsellerliste an

Wenn die nicht gerade mit der Lektüre von "Mein Kampf" beschäftig ist… Gerade steht die kritische Edition auf Platz 2 der SPIEGEL-Bestsellerliste Sachbuch. Nur Thilo Sarrazins neues Buch ist mit Platz 1 noch gefragter.
Letzteres sei "ein Pamphlet darüber, dass das deutsche Volk bedroht sei, wenn es sich mit 'Minderwertigen' vermische", sagt Steven Geyer im Interview mit dem Autor Rolf Rietzler für die BERLINER ZEITUNG. Rietzler, der ein Buch über "das Hitler-Bild der Deutschen seit 1945" geschrieben hat, kommentiert die Lektüregier nach Hitler und Sarrazin so:
"Offensichtlich ist es mit dieser 'Vergangenheitsbewältigung' – von der ja ernsthafte Leute behaupten, wir seien darin Weltmeister – nicht weit her."

Ein Hitler-Bild wie in den 50er-Jahren

Heute hätten viele Deutsche wieder das Hitler-Bild der 50er-Jahre. Da sei Hitler als Dämon angesehen worden, als jemand, der so mächtig sei, ein ganzes Volk zu verführen: "Dieser Vorstellung begegnen wir heute wieder, wenn es heißt, ‚Mein Kampf‘ wäre ohne Fußnotenapparat gefährlich. Nur ein Dämon kann ein so verteufeltes Werk schreiben", sagt der Autor. Gleiches gelte, wenn RTL eine Hitler-Serie plane und etwas Unerhörtes tun, nämlich "Hitler als Mensch zeigen" wolle.
Rietzlers Kommentar:
"Welch alter Hut! 'Er hatte doch auch menschliche Züge', hieß es schon kurz nach dem Krieg."
So etwas zu betonen, setze voraus, dass man ihn eigentlich für einen Dämon halte.

Mit der Virtuelle-Realität-Brille gegen Rassismus

Schade, dass Hitler noch keine Virtuelle-Realität-Brille aufsetzen konnte: "Virtuelle Realität kann Rassismus reduzieren, indem man in die Haut eines anderen schlüpft", behauptet Michael Madary im Interview mit Benedikt Frank von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Der Philosoph forscht an der Uni Mainz zu ethischen Fragen in Bezug auf virtuelle Welten. Vor allem warnt er vor möglichen negativen Folgen, die mit den neuen Brillen einhergehen könnten: die Depression und "die Derealisations- und die Depersonalisations-Störung", also das "Gefühl, dass die Welt nicht echt ist, und das Gefühl, dass man seinen Körper nicht selbst kontrolliert". Wie lange diese Gefühle anhalten könnten, müsse noch erforscht werden.
Aber es gebe in diesem Zusammenhang auch Hoffnung auf einen positiven Effekt: "Sehr milde Derealisation könnte dazu führen, den eigenen Körper mehr wertzuschätzen", sagt der Philosoph im Interview mit der SZ.
"Man nimmt die Virtuelle-Realität-Brille ab und freut sich, in einem echten Körper in der echten Welt zu sein."
Mehr zum Thema