Aus den Feuilletons

Von Puschkin lernen

04:18 Minuten
Büste von Alexander Puschkin.
Puschkins Zeit in Quarantäne steht für kreativen Aufschwung, erzählt uns Olga Martynowa in der "Süddeutschen Zeitung". © imago images / ITAR-TASS
Von Ulrike Timm · 23.03.2020
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Auch Alexander Puschkin musste sich in Quarantäne begeben – für ganze drei Monate war er während der Cholera-Pandemie von 1830 von seiner Verlobten und der Außenwelt getrennt. Seine vielleicht glücklichsten drei Monate, mutmaßt die „Süddeutsche“.
"Getrennt von allen und doch vereint mit allen", steht im TAGESSPIEGEL und passt doch wie Arsch auf Töpfchen! Ist aber keine Weisheit aus Coronazeiten, sondern uralt: aus dem 4. Jahrhundert überliefertes Credo des Eremiten Evagrios Pontikos.
Im TAGESSPIEGEL können wir heute richtig was lernen – ein Spaziergang in Siebenmeilenstiefeln durch die Geschichte des Eremitentums: "Die Eremiten sind fein raus. Sie suchen freiwillig die Einsamkeit, kehren der Welt den Rücken."

Eremiten kümmern sich um andere Menschen

Nun gut. Das zeitgenössische Eremitentum geschieht entschieden unfreiwillig, aber schauen wir mal. Gunda Bartels hat fleißig recherchiert und allerhand aufgetan, auch viele heutige Eremiten: einen georgischen Mönch, der auf einer vierzig Meter hohen Kalksteinfelsnadel lebt und mit dem Seilzug versorgt wird, obskure Käuze in niedersächsischen Wäldern oder in Erdhöhlen bei Beelitz – und Maria Anna, die Diözeseneremitin des Erzbistums Osnabrück.
Sie lebt asketisch und abgeschieden, aber das hindert sie nicht, "zwei Webseiten zu betreiben und eine Schaltstelle der neueremitischen Bewegung in Deutschland zu sein".
Eremiten kümmern sich um andere Menschen. Maria Annas Tür steht immer offen, wenn auch momentan nur mit zwei Metern Abstand. "Alle drei Jahre findet sogar ein großes europäisches Eremitentreffen statt." Wer hätte das gedacht? Mit Infos für an dieser Lebensweise Interessierte.
Und der TAGESSPIEGEL resümiert nicht ohne Bewunderung: "Der vom Getöse alltäglicher Ablenkung befreite Mensch, zurückgeworfen auf die nackte, imperfekte Existenz – das kann ein Anfang sein."

Selbst die Wallfahrtskirche von Altötting mach dicht

Nun sind die meisten von uns bestenfalls Eremiten im Schnuppertest, elementare Grundausbildung, und auch spirituelle, gläubige Menschen haben es derzeit nicht leicht. Alles zu, selbst die Wallfahrtskirche von Altötting, besucht seit 1489.
"Und jetzt?", fragt die FAZ, "geschlossen, chiuso. Stattdessen täglich fünf Messen online. Beichte nur noch in Einzelfällen und nach telefonischer Anmeldung. Auf der Homepage der Wallfahrtsdirektion liest man: Bitte beten Sie zu Hause."
Schon klar, Gott hat ja nicht zu, bloß weil die Kirche dicht ist.

Puschkins vielleicht glücklichsten drei Monate

"Überlebenskunst" liefert jetzt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Die Schriftstellerin Olga Martynowa erzählt uns davon, dass Alexander Puschkin sich während der Cholera-Pandemie von 1830 für drei Monate in Quarantäne begab. Eigentlich wollte der Dichter gerade heiraten und war zugleich besorgt, dass ihm die Hochzeit "seine beste Arbeitszeit – den Herbst – verkorksen würde".

"Puschkin", so die SÜDDEUTSCHE, "fand sich von der Außenwelt inklusive der Braut abgeriegelt und verbrachte so die vielleicht glücklichsten drei Monate seines Lebens, die unter dem Namen 'Boldinoer Herbs' sprichwörtlich für einen kreativen Aufschwung stehen", erzählt uns Olga Martynowa und empfiehlt uns die Lektüre des russischen Klassikers.

Beim Fußball hört der Spaß auf

Wenn Sie es lieber etwas profaner haben: "Einer der ersten Glaubenssätze des Fußballs geht so: 'Fußball ist nicht nur eine Frage von Leben und Tod, Fußball ist noch viel ernster.' Stammt von Bill Shankly. Der war Schotte und ist eine Legende, als Spieler und als Trainer des FC Liverpool."
Das lesen wir in der WELT, die sich mit der neuen Netflix-Serie "The English Game" befasst, die Julian Fellowes geschrieben hat, als legendärer Schöpfer von "Downton Abbey" zugleich Fachmann für alles britische Oben und Unten.
Mit etwas "germanischer Rumpelhaftigkeit" in der Dramaturgie, aber wohl durchaus unterhaltsam bringt Fellowes alles zusammen in seiner Fußballstory, "die Aufstände der Baumwollarbeiter, die Mobilmachung der Frauen, Liebesgeschichten, Familiengeschichten, die Erfindung von Fußball als Spiel der Strategen, als Mittel der Gemeinschafts-, der Nationenbildung".
Ziemlich viel unter einem Dach. Aber die WELT meint: "'The English Game' ist halt ein Märchen. Kann man gegenwärtig gar nicht genug von haben."
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