Aus den Feuilletons

Über Sex und Macht

Asia Argento
Die Schauspielerin Asia Argento brachte die #MeToo-Debatte ins Rollen. Nun wurden Vorwürfe publik, sie selbst habe einen 17-Jährigen sexuell missbraucht und ihm Schweigegeld gezahlt. © dpa
Von Arno Orzessek |
Warum sollen mächtige Frauen nicht auch sexuell bedrohlich sein, wenn man bedenkt, dass Macht sexuell ausgenutzt wird? Sind junge Männer aber ähnlich wehrlos wie junge Frauen? Diesen Fragen widmeten sich die Feuilletons im Zuge der Vorwürfe gegen Asia Argento.
Monatelang konnte man vor lauter Hitze einen solchen Gedanken kaum klar denken. Aber allmählich erscheint es doch vorstellbar: Ja, auch dieser Sommer geht einmal zu Ende! Dieser Sommer, dem es gefiel, der deutschen Alltagssprache den beklemmenden Fachbegriff 'Heißzeit' einzubrennen. Der Sommer auch, der die Beziehung zwischen dem Substantiv 'Abkühlung', dem Verb 'lechzen' und der Präposition 'nach' gründlich gefestigt hat. Erklärlich also, warum die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG per Überschrift deklamierte: "Dem Schwimmen ist nichts vergleichbar."

Über das Wallen der Welt in den Wellen

"Ich schwimme gern", hob der Schwärmer Paul Jandl an. "Man gebe mir einen See, der groß genug ist, um darin unterzugehen, und ich steige hinein. Das Röhren der Rohrdommel ist mein Begleiter, wenn an Brandenburgs Wassern die Sonne auf Schwebstoffe scheint. Dann in die Wellen, und die Welt wird ein Wallen." Lassen wir beiseite, dass in Brandenburgs Wassern veritable Wellen selten sind und auch das Wallen der Welt ein schülerzeitungsmäßiger Lyrizismus ist. Tatsächlich ging es dem NZZ-Autor Jandl nämlich darum, den modischen Störenfrieden des Herumschwimmens eins auszuwischen.
Trainer und Stehpaddler auf dem Wasser
Trainer und Stehpaddler auf dem Wasser© Deutschlandradio Kultur / Wiebke Nordenberg
"Plötzlich stehen im Wasser Menschen auf Brettern und haben Paddel in der Hand. Sie gleiten über dich hinweg und neben dir her. Sind es, wie der Schriftsteller Robert Musil das nennt, 'körperkulturelle Genies, Genies der Empormenschlichung, der tatwaltigen Könnensschwebung'? Nein. Es sind Individuen, die nichts anderes tun müssen, als zu stehen." Das ist natürlich objektiv Unfug. Zudem könnten wir dem NZZ-Autor Jandl Brandenburger Seen zeigen, in denen er das Wallen der Welt in den Wellen solo genießen könnte.
Eine Frau hält sich einen Arm vor das Gesicht, auf dem mit roter Farbe geschrieben steht: MeToo
Weltweit wird das Thema sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch diskutiert.© imago
Aber bevor unser Wochenrückblick zu einer spätsommerlichen Wassersport-Extraausgabe mutiert, wenden wir uns delikateren Themen zu. Die Tageszeitung DIE WELT forderte per Überschrift: "Wir müssen über übergriffige Frauen reden". Und eben das tat Sarah Pines – vor dem Hintergrund, dass die italienische Schauspielerin Asia Argento bezichtigt wird, den damals 17-jährigen Jimmy Bennett missbraucht zu haben.

Warum sollten Frauen nicht auch sexuell bedrohlich sein?

"Auch wenn die MeToo-Bewegung gute Absichten hat: Es bringt nichts, wenn ein konfuses Opferkonglomerat sich aufführt wie naive Mamsellen auf Pariser Debütantinnenbällen, immer auf der Flucht vor bartzwirbelnden Halbhalunken, die ihnen an die Wäsche wollen. Warum sollten Frauen nicht auch sexuell bedrohlich sein (wollen)? Sex ist ein gewaltvoller Trieb, dem beide manchmal erliegen, Mann und Frau – denn er ist nicht (nur) gesellschaftlich hergestellt. Kann es nicht sein, dass auch Argento einfach nur sexuelle Gewalt ausgeübt hat, weil sie es wollte – und nicht wegen chauvinistischer Traumata?", fragte Sarah Pines in der WELT.

Macht wird sexuell ausgenutzt

Zum Ehrenretter von #MeToo schwang sich dagegen Dietmar Dath in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auf:
"Diese Bewegung war und ist die verdiente Geißel mächtiger, teils kreativer und begabter Männer, die sich an Frauen vergehen, aber auch die Nemesis mindestens eines mächtigen, kreativen und begabten Mannes, der sich an Männern vergangen hat (Kevin Spacey), und jetzt erwischt es, weil #MeToo dafür gesorgt hat, dass Leute, die am unteren Ende eines Machtgefälles Übergriffe erleiden müssen, öffentliche Gegenmacht zu gebrauchen lernen, eben eine manchmal mächtige, oft kreative und allemal begabte Frau, die es an Achtung für die sexuelle Selbstbestimmung eines jungen Mannes hat fehlen lassen. Dass es früher oder später eine Frau treffen wird, die ähnlich übel mit Frauen umgeht, steht zu befürchten. Macht wird sexuell ausgenutzt, darum geht's."
Womit der FAZ-Autor und MeToo-Fan Dath zu dem gleichen Schluss kam wie seine MeToo-kritische WELT-Kollegin Pines. In der Wochenzeitung DIE ZEIT wiederum grübelte Jens Jessen: "Lässt sich überhaupt ein 17-Jähriger gegen seinen Willen in ein Hotelzimmer bugsieren, ausziehen und aufs Bett werfen?"

Junge Männer ähnlich wehrlos wie junge Frauen?

Jessen bemängelte an den Einlassungen der Bennett-Verteidiger "die strategisch eingesetzte Weltfremdheit, die so tut, als wären junge Männer auf ähnliche Weise wehrlos wie junge Frauen – als ließe sich auf diese Weise eine Geschlechtersymmetrie herstellen, die das Schuldkonto ausgleicht, von dem die #MeToo-Debatte eine Ahnung gegeben hat."
Die Schauspieler Laura Harrier und John David Washington 
Die Schauspieler Laura Harrier und John David Washington in dem Film "BlackKklansman" von Regisseur Spike Lee.© picture alliance/dpa/Capital Pictures
Unterdessen besprachen sämtliche Feuilletons Spike Lees Film "Blackkklansman" – geschrieben mit drei K wie Ku-Klux-Klan. Im Mittelpunkt steht, nach dem Vorbild einer wahren Geschichte, Detective Stallworth, ein Schwarzer, der sich ultra-rassistisch gibt, um Kontakt zu einer örtlichen Ku-Klux-Klan-Gruppe zu knüpfen.

Feelgood-Movie über den Ku-Klux-Klan

"Das ist tatsächlich lustig", freute sich Suzan Vahabzadeh in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "bis auf die letzten, bitteren Minuten ist 'Blackkklansman' ein Feelgood-Movie; und ein Feelgood-Movie über den Ku-Klux-Klan zustande zu bringen, ist schon mal eine Leistung für sich. Zwei Cops führen den Klan an der Nase herum, das klingt fast ein bisschen albern – aber ungefähr so ist es nun mal passiert."

Khrzhanovskys stalinistische Parallelwelt

Rätselhaft mutete in der vergangenen Woche die Ankündigung an, der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky werde im Herbst im Rahmen seines DAU-Projektes rund ums Berliner Kronzprinzenpalais Unter den Linden eine Mauer ganz wie einst installieren und darin eine stalinistische Parallelwelt errichten. Die meisten Feuilletons beließen es bei Verlautbarungen aus der Pressemappe.
Auch der Berliner TAGESSPIEGEL konstatierte: "Ein seltsames Schweigen umhüllt das riesige Unternehmen." Doch Frank Herold und Rüdiger Schaper glänzten mit einer gründlichen Recherche zu Sergey Adoniev, dem Multimillionär, aus dessen Tasche das meiste Geld für das DAU-Projekt kommt, das Kulturstaatsministerin Monika Grütters übrigens in sehr frühzeitiger Begeisterung schlicht als "Weltereignis" anpries.
Wir sehen nicht klar in Sachen DAU und sind gespannt, was sich da zusammenbraut. Und Sie werden es auf dieser Welle erfahren. Falls Sie übrigens noch nicht wissen, wo Sie den Sonntag verbringen sollen – eine Überschrift der TAGESZEITUNG gibt den erlesenen Tipp: "Ganz und gar im Hier und Jetzt."
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