Scheiternde Erinnerungskultur

Von der Einheitswippe zur Berliner Fake-Mauer

Berliner Mauer mit Stacheldraht am Potsdamer Platz am 30. September 1961
Berliner Mauer mit Stacheldraht am Potsdamer Platz am 30. September 1961 © imago/Sabine Gudath
Gunter Gebauer im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 22.08.2018
In Berlin soll wieder eine Mauer errichtet werden. Die Nachbildung der Vergangenheit hält der Philosoph Gunter Gebauer für wenig zielführend und gefährlich. Wie sonst an die Vergangenheit erinnern? Mit der Einheitswippe? Auch nicht, sagt Gebauer.
Ein Kunstprojekt bringt derzeit die Berliner in Wallung. Noch weiß man nichts Genaues darüber - eine Pressekonferenz wird es erst in einigen Tagen geben. Doch der Rahmen wird schon deutlich: Bei dem Projekt "DAU" soll vom 12. Oktober bis 9. November ein Straßenviertel am Boulevard Unter den Linden mit einer rekonstruierten Berliner Mauer abgesperrt werden.
Initiator ist der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky, ihm zur Seite stehen offenbar der Filmemacher Tom Tykwer und der Berliner Festspiele-Intendant Thomas Oberender. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat sich bereits positiv zu den Plänen geäußert. Er hofft auf Debatten über Abschottung und Ausgrenzung.

"Eine Art Disneyland"

Laut RBB müssen Besucher Eintritt in das abgesperrte Quartier zahlen, drei Kilometer lang soll die Mauer werden. Die "Berliner Zeitung" schreibt bereits von einem "erlebnisechten Totalstaat". Und auch bei dem Philosophen Gunter Gebauer kommt das, was man bisher über das Projekt weiß, nicht gut weg. "Ich finde das sehr vordergründig. Wenn eine Mauer gebaut wird, heißt das nicht, man denkt jetzt über die Mauer nach, wie sie bis 1989 bestanden hat." Gebauer sprach im Deutschlandfunk Kultur von "einer Art Disneyland".
"Checkpoint Charlie", aus der Serie "In den Straßen von Berlin"
Mauerstreifen am Checkpoint Charlie: "Eine Art Disneyland"© Friedhelm Denkeler
Die Gefahr, dass das Projekt nach hinten losgehe und ganz andere Effekte habe, sei groß, betonte der Philosoph. Es sei so ambivalent, "dass man nicht kontrollieren kann, in welche Richtung es sich entwickelt". So werde dann möglicherweise auch darüber diskutiert, "dass diese Mauer ja auch eine Abschottung vor allem war, was man nicht haben wollte und dass man sich Leute vom Hals halten kann. Das kann ja auch passieren und das ist die Gefahr des Projekts."

Übelkeit am Checkpoint Charlie

Als Vergleich nutzte Gebauer den Checkpoint Charlie, den ehemaligen, berühmten Übergang in den Ostteil der Stadt. Dort ständen heute Schauspieler in russischen Uniformen herum, paradierten und ließen sich für Geld fotografieren, kritisierte Gebauer. Wenn man da vorbeikomme und die Situation als alter Berliner noch von früher her kenne, drehe sich einem der Magen um, sagte er.
Entwurf des Freiheits- und Einheitsdenkmals
Entwurf des Einheitsdenkmals: Einmal hierhin, einmal dorthin wippen© dpa/Milla & Partner
Auch das geplante Einheitsdenkmal, die "Einheitswippe", hat für Gebauer vor allem Event-Charakter. Die Wippe habe im Grunde keine Aussage, sagte er:
"Die kann man als Spielplatz verwenden. Da können Familien sich raufstellen und fotografieren lassen und da kann man dann hin- und hertoben. Man kann Mehrheitsverhältnisse schaffen, in dem man auf die eine Seite oder auf die andere Seite rüberwippt. Der ganze intellektuelle Kontext, der von den Denkmal-Machern angeboten wird, ist höchst prekär."

Kinderspielzeug statt Inhalte

Man könne mit der Wippe machen, was man wolle, kritisierte Gebauer: "Was völlig fehlt, ist die Mauer, die Freiheit, die Unterdrückung, die Lebensverhältnisse in der DDR, die neuen Lebensverhältnisse in der vereinten Bundesrepublik."
Es gebe so viele unendlich wichtige Themen, die bei einem solchen Denkmal eine Rolle spielen sollten, betonte der Philosoph. Staatdessen werde den Menschen ein "Kinderspielzeug" angeboten. (ahe)
Mehr zum Thema