Aus den Feuilletons

Über einen grunddeutschen Zug

Moderator Thomas Gottschalk mit der Wettpatin Prinzessin Stephanie von Monaco am 13. April 1991 in Berlin.
Moderator Thomas Gottschalk mit der Wettpatin Prinzessin Stephanie von Monaco am 13. April 1991 in Berlin. © picture alliance / Frederike von Stackelberg
Von Arno Orzessek · 12.04.2014
Welche Bedeutung hatte "Wetten, dass...?" für Deutschland und die Deutschen? Diese Frage umtrieb die Feuilletons Anfang vergangener Woche nach der Absetzung der ZDF-Sendung. Dabei gab es noch ganz andere Themen.
Liebe Hörer!
Wetten, dass... Sie in diesem Augenblick an die ZDF-Sendung denken, deren Absetzung zum Jahresende die Feuilletons Anfang vergangener Woche umgetrieben hat?
"[Das] Ende des deutschen Kindergeburtstags", spöttelte die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG und gab die Geschichte von "Wetten, dass...?" so wieder:
"Elstner hat's gegründet, Gottschalk hat's gegipfelt, Lanz hat's vergeigt."
Was "Wetten, dass...?" indessen für Deutschland und die Deutschen gewesen ist, befasste die Interpreten in allen Blättern.
"Man tritt dem deutschen Fernsehpublikum nicht zu nahe", sinnierte Holger Gertz in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "wenn man es in seiner Gesamtheit als eher spießig bezeichnet. Aber kein halbwegs normaler Spießbürger will einem anderen Spießer zu offensichtlich zujubeln. Der Spießbürger will den Individualisten loben – schon um sich selbst ein wenig weniger spießbürgerlich fühlen zu können. Die Entertainer-Stars ihrer Zeit waren in Deutschland also Männer, die den Samstagabend locker bespielten. Hans Joachim Kulenkampff und Thomas Gottschalk." So der SZ-Autor Gertz.
Von Gottschalk zur Krim-Krise
Noch tiefschürfender bedachte Jens Jessen in der Wochenzeitung DIE ZEIT das Phänomen "Wetten, dass...?" - in dem es, so Jessen, um "Brillanz ohne Sinn und Verstand" geht.
"Es war nun der grunddeutsche Zug [...] von 'Wetten, dass...?', den heiligen Narren ein geschütztes Gehäuse zu bieten, das sie vor Spott und Nutzenrechnung der bösen Welt bewahrte. Alles, was draußen hätte lächerlich oder empörend wirken können (Woher haben die Leute überhaupt die Zeit für den Unfug?), bekam im Gehäuse der Sendung seinen Sinn und seine Würde. Man könnte fast sagen, dass sich der Deutsche mit seiner Begabung für nutzenfreie Perfektion schon immer in seiner Freizeit- und Hobbygestaltung so verhalten hat, als warte auf ihn ein Wettpate im Zweiten Deutschen Fernsehen."
Nun, liebe Hörer: Wetten, dass einige unter Ihnen Lust auf einen Themenwechsel haben?
Bitte schön!
Wir erwähnen nur noch, dass Friedrich Küppersbusch in der TAGESZEITUNG prophezeite: "Wenn sie es jetzt nicht noch dreimal elektroschocken, hat [...] "Wetten, dass...?' die Chance, eine nette Erinnerung zu werden und eine DNA-Probe der untergegangenen Gemütlichkeitsrepublik" - und kommen zum Krim-Komplex.
"Annexionen zwischen Staaten sind Kriegsgründe"
"Hat Russland die Krim annektiert? Nein. Waren das Referendum auf der Krim und deren Abspaltung von der Ukraine völkerrechtswidrig? Nein. Waren sie also rechtens? Nein; sie verstießen gegen die ukrainische Verfassung."
So fulminant begann der Essay des Rechtsphilosophen Reinhard Merkel, der in der FAZ vor dem Gebrauch der Kampfvokabel "Annexion" warnte.
"Annexionen zwischen Staaten sind [...] typischerweise Kriegsgründe. Wer heute mit Blick auf die Krim so redet, verwirrt nicht nur die völkerrechtlichen Grundbegriffe, sondern mobilisiert deren Legitimationspotential auf gefährliche Weise. Wenn nicht alle Zeichen trügen, ist der Westen soeben dabei, sich für eine verfehlte Außenpolitik die Quittung einer welthistorischen Blamage zuzuziehen."
Was seine Landsleute über die Vorgänge auf der Krim denken, erläuterte - ebenfalls in der FAZ - der russische Schriftsteller Viktor Jerofejew.
"Die Krim[-Causa] hat das russische Volk mit dem Staat vereint, Putins Ansehen stark angehoben, den nationalen Patriotismus befeuert, die Bevölkerung zur neuen großen Taten mobilisiert und sie vom Westen entfernt. Hätte es den Skandal um die Einnahme der Krim nicht gegeben, man hätte ihn zur Stärkung Russlands erfinden müssen."
"Der russische Patriotismus ist eine Krankheit"
Und weiter Jerofejew:
"Aus der Perspektive des Russen ist die Krim ins russische Paradies zurückgekehrt. Paradies meint hier nicht materiellen Überfluss. Wir sind die Nachfahren der Heiligen Rus und die ewigen Erbauer des Dritten Roms [...]. Was kümmert es uns, dass der Westen sich von uns abwendet [...]? Askese und Isolation bestätigen nur, dass wir im Recht sind."
So die Stimme Russlands aus dem Munde Viktor Jerofejews.
Analytischer äußerte sich Natalja Kljutscharjowa, ebenfalls Schriftstellerin, in der Tageszeitung DIE WELT unter der Überschrift: "Der russische Patriotismus ist eine Krankheit."
"Die jetzigen Machthaber haben den sichersten Weg gewählt, das Volk gefügig zu halten: Sie liefern ihm regelmäßig neue Anlässe für Stolz und Hurra. [...] Der ‚Nationalstolz' ist [also] eine praktische Angelegenheit. Er hat nur ein Manko: Man muss stetig die Dosis erhöhen, sonst wirkt er nicht mehr. Schon jetzt spielt die russische Regierung mit Stoffen, die leicht außer Kontrolle geraten können."
Das dazu. Nun noch Vermischtes.
"Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack", bemerkte die FAZ. Und zwar zu dem Umstand, dass die Augsburger Staatsanwaltschaft die Beschlagnahmung der Sammlung Gurlitt beendet, Cornelius Gurlitt sich aber verpflichtet hat, seine Sammlung auf Raubkunstfälle untersuchen zu lassen.
Ein bitterer Nachgeschmack blieb bei Markus Gabriel nach der Lektüre der "Schwarzen Hefte" Martin Heideggers zurück.
"Klar ist nun, dass Heidegger dem Nationalsozialismus bis 1941 nicht nur nicht abgeschworen hat, sondern sich einer ‚wesentlichen Bejahung' verschreibt", konstatierte Gabriel in der WELT.
"Warum hacken alle auf unserem Konzern herum?"
In der FAZ ging derweil der Streit um die Macht der Internet-Konzerne und Geheimdienste weiter.
"Warum hacken eigentliche alle auf unserem Konzern herum? [...] Google nützt der Kultur, den Verlagen und dem Journalismus", wetterte Eric Schmidt, Vorsitzender des Google-Verwaltungsrats.
Der Wissenschaftshistoriker Peter Galison unkte hingegen: "Wir werden uns nicht mehr wiedererkennen" und erläuterte:
"Vor mehr als hundert Jahren hat Freud nachgewiesen, dass der Mensch sich selbst zensiert. Im Zeitalter digitaler Massenüberwachung droht uns Selbstzensur in ganz anderem Ausmaß: Wir werden immer vorsichtiger, gehemmter – unser Verhalten ändert sich grundlegend."
Menschliches Verhalten, das war das Fachgebiet von Shakespeare. In der ZEIT firmierte der englische Dramatiker anlässlich seines 450. Geburtstags als "Der Größte". Der Shakespeare-Forscher Harold Bloom jubelte:
"Nie habe ich jemanden getroffen, der so intelligent gewesen wäre wie Hamlet. Mich eingeschlossen."
Liebe Hörer, sollten auch Sie kein neuer Hamlet sein?
Dann trösten Sie sich doch mit Pierce Brosnan alias Bond, James Bond, der in der SZ demütig bekannte: "Das ist alles, was ich habe: nur mich und meine Grenzen."
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