Medien

"Teil des Retro-Fernsehens"

Moderator Markus Lanz geht am 05.04.2014 in der ZDF-Sendung "Wetten, dass..? durch die Baden-Arena in Offenburg (Baden-Württemberg)
"Wetten, dass...?" wird eingestellt. © picture alliance / dpa
Moderation: Marietta Schwarz · 07.04.2014
Nach 33 Jahren ist Schluss für "Wetten, dass ...?". Die Show hatte sich längst selbst überlebt, sagt der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister. Sie symbolisiere auch den mangelnden Mut zu neuen Formaten.
Marietta Schwarz: 33 Jahre Laufzeit – das ist allerhand, aber eben doch nicht per se eine Erfolgsgarantie. Am Samstagabend verkündete Markus Lanz das Ende von "Wetten, dass ...", jener Unterhaltungs-Show, die in den 80er-Jahren für die Lagerfeuerwirkung des deutschen Fernsehens stand, am Ende aber nur noch dürftige Quoten brachte. Lanz, der jetzt noch die letzten drei Sendungen weitermachen muss oder darf, hatte seine ganz eigene Erklärung für das Ende: Die Show passe offenbar nicht mehr so richtig in die Zeit, diese sei doch ein bisschen kalt geworden. – Soweit Markus Lanz.
Am Telefon ist jetzt der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister. Guten Morgen, Herr Hachmeister.
Lutz Hachmeister: Guten Morgen.
Schwarz: Wie fällt Ihre Analyse für das Scheitern von "Wetten, dass ..." aus? Ist Lanz Teil des Problems?
Hachmeister: Ja, er ist schon Teil des Problems. Man hätte sicherlich mit einem Moderator wie Hape Kerkeling oder einem ähnlichen, etwas, sagen wir mal, show-geeigneteren Typus weitermachen können. Aber das ist nicht der Kern des Problems. Man hatte ja doch schon das Gefühl, dass diese Sendung Teil des Retro-Fernsehens ist, dass sie sich selbst überlebt hat, und ich habe mich eigentlich gewundert, wie lange sie funktioniert hat. Irgendwie war das ein Programm, das mir schon völlig entglitten war.
Es ist doch klassisches Familienfernsehen, das man versucht hat, noch immer so ein bisschen aufzupeppen mit spektakulären Einzelaktionen. Das Format selbst, die Wetten, ist dann immer mehr in den Hintergrund getreten. Das Ende war sehr, sehr absehbar und wie gesagt, es war so ein verzögertes Sterben dieses Formats.
Schwarz: Dass das irgendwie piefig und uncool ist, da waren sich ja viele zumindest jüngere Leute einig. Andererseits ist ja auch die Frage: Bekäme man in Deutschland mit einer coolen Show überhaupt mehr Leute vor den Fernseher am Samstagabend und wie müsste die dann aussehen?
Postmodernes Fernsehen mit ARD und ZDF nicht zu machen
Hachmeister: Nein. Mit einer coolen Show in dem Sinne, dass sie jüngere Leute erfreut, das wäre dann ja sehr stark von Selbstironie geprägt. So ein, wie man früher gesagt hätte, postmodernes Fernsehen, das ist natürlich am Samstag um 20:15 Uhr mit dem Publikum, das das ZDF und auch die ARD hat, nicht mehr zu machen.
Insofern müsste man sich entscheiden, solche Shows dann später zu bringen. Dann ist die Frage, lohnt sich der materielle Aufwand dafür. Oder man müsste ein anderes Konzept entwickeln. Das ist allerdings sehr, sehr schwierig geworden in Zeiten eines sehr zersplitterten Fernsehangebots, wo sich die kommerziellen Sender auch an Tabubrechungen, Casting-Shows und ähnlichem, natürlich viel mehr leisten können, als es dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen zugestanden wird.
Schwarz: Was leisten die mehr?
Hachmeister: Na ja, man kann sich da sehr deutlich an Trash-Kulturen, an ganz harte Tabubrüche anschließen. Ich nehme mal zwei Beispiele aus der letzten Zeit. Im holländischen Fernsehen ist dieses "Big Brother"-Prinzip, das ja damals auch in Deutschland viel Aufsehen erregt hat, noch mal radikalisiert worden, indem man ganze Kolonien bildet, die quasi jahrelang unter Kamerabeobachtung ein soziales Leben ausbilden, und in Großbritannien hat es eine Show gegeben, "Ich bin schwul, wer kann mich heilen?".
Solche Formate wären bei ARD und ZDF – ich weiß nicht, ob Sie das anders sehen – nicht möglich. Das sind natürlich so schrille Aberrationen, sage ich mal, die jüngere Leute zumindest vom Faszinationsfaktor her interessieren. Das haben ARD und ZDF eben nicht im Angebot.
Schwarz: ARD und ZDF würden das nicht machen, weil es unter ihrem Niveau wäre, oder wäre es nicht auch möglich, gewisse schrille Sachen zu generieren, die trotzdem noch ein Niveau, eine Form von Selbstironie pflegen, die vielleicht auch für die Öffentlich-Rechtlichen angemessen wäre?
Hohes Risiko: Hergebrachtes ausreizen, bis es nicht mehr geht
Hachmeister: Das ist schon richtig. Man kann auch in diesem Genre natürlich etwas Neues bringen, das bei ARD und ZDF laufen könnte. Nur das Sicherheitsfernsehen der letzten Jahre hat das Publikum so an bestimmte Standards gewöhnt, gerade das ältere Publikum, dass es doch dann leicht verschreckt ist und dann wahrscheinlich überhaupt nicht mehr fern sieht oder ausweicht auf eher noch volkstümlichere Programme.
Diese Idee, man hält am Hergebrachten fest, für die "Wetten, dass ..." ja eigentlich ein gutes Beispiel ist, und reizt es so lange aus, wie man noch ein mehrheitsfähiges Publikum bekommt, das hat natürlich auch hohe Risiken, dass man irgendwann dann insgesamt an Akzeptanz verliert bei den Jüngeren und bei den Älteren, und das ist im Moment das Gesamtproblem des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, also nicht nur im Bereich der Show, sondern auch bei fast allen anderen Programmangeboten. Man ist da in der Zange.
Schwarz: Aber was würden Sie denn da empfehlen, wenn Sie gefragt werden?
Hachmeister: Das ist so die 100-Millionen-Dollar-Frage. Ich denke, dass man schon noch große Shows machen kann, die vielleicht sogar etwas politischer, etwas aktueller sind, etwas brisanter sind. Ich denke damals an Adriano Celentano in Italien, als er mal aufgefordert hat, nicht wählen zu gehen gegen Berlusconi, große Show und die Mehrheit der Italiener hat da zugeschaut.
Das ist eben die Frage, was man sich traut, und natürlich auch eine Frage von frühzeitigen Marktbeobachtungen und Formatentwicklungen. Wie gesagt, man hat sich da im ZDF sehr lange auf diesen einen Tanker "Wetten, dass ... " verlassen, der ja zu Hochzeiten mal ein Prozent des gesamten Marktanteils ausgemacht hat im Monat, und jetzt bekommt man die Rechnung dafür.
Schwarz: Der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister über das Ende von "Wetten, dass ...". Herr Hachmeister, viele Grüße nach Südfrankreich und danke für das Gespräch.
Hachmeister: Danke schön. – Bitte!
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