Aus den Feuilletons

Türkische Pilgergruppen auf dem Weg nach Jerusalem

04:14 Minuten
Die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem im Sonnenlicht.
Die Al-Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in Jerusalem: eine Stätte mit hoher Symbolkraft. © picture alliance/dpa-Zentralbild/Matthias Tödt
Von Burkhard Müller-Ullrich |
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Immer mehr Türken reisen nach Jerusalem, um sich mit Nationalfahnen und Erdogan-Postern vor der Al-Aqsa-Moschee ablichten zu lassen, berichtet die "SZ". Eine internationale muslimische Kampagne hat das Ziel, den heiligen Ort zu "befreien".
Die religionspolitische Strategie des türkischen Präsidenten Erdogan zielt, wie man weiß, aufs Große. Gerade erst ließ er die Hagia Sophia in Istanbul vom weltlichen Museum in eine Moschee zurückverwandeln, da zielt er offenbar schon auf ein Gebäude, das vielleicht noch mehr Symbolkraft besitzt, denn es ist der drittheiligste Ort im Islam, wie Joseph Croitoru in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt. Die Rede ist von der Al Aqsa-Moschee auf dem Tempelberg in der Jerusalemer Altstadt.

Der türkische Staat unterstützt die Islamisten

Croitoru berichtet von einer "globalen muslimischen Kampagne, die zum Schutz des Ortes vor israelischer Kontrolle aufruft. Türkische Islamisten haben sich der Kampagne schon vor Jahren angeschlossen und werden vom türkischen Staat und ihm nahestehenden Stiftungen unterstützt. Dass der in diesen Kreisen schon länger vernehmbare Ruf nach der 'Befreiung der Al Aqsa' nun auch vom türkischen Staatschef höchstpersönlich artikuliert wird, hat dieses Begehren zur offiziellen Staatsideologie erhoben."
Der Autor analysiert die zahlreichen Verbindungen und Verflechtungen zwischen offiziellen türkischen Stellen und der Al-Aqsa-Kampagne: zum Beispiel die "Türkische Jugendstiftung", in deren Aufsichtsrat Erdogans Sohn sitzt, oder die Religionsbehörde Diyanet, deren Präsident ebenfalls für die "Befreiung" der Al Aqsa agitiert.
In der Folge reisen mittlerweile immer mehr türkische Pilgergruppen nach Jerusalem, manche posieren gar mit Nationalfahnen und Erdogan-Postern vor dem Felsendom, bis die Polizei einschreitet, sofern ihnen nicht schon vorher am Flughafen in Tel Aviv die Einreise verweigert wird. "Doch auch solche Maßnahmen können offensichtlich nicht verhindern, daß sich das Beziehungsnetz zwischen Türken und Palästinensern insbesondere in Ostjerusalem immer weiter verdichtet", resümiert Croitoru in der SZ.

Digitalisierter Völkerfrieden

Vielleicht wäre es ja für den Völkerfrieden hilfreich, wenn die Digitalisierung schon so weit fortgeschritten wäre, daß man Heiligtümer nicht mehr physisch besuchen muß, sondern sie einfach virtuell erpilgern kann. Aber selbst ein Museum, das genau solchen Technologien gewidmet ist, wie das neue Nxt Museum in Amsterdam (wobei Nxt ganz modern ohne e geschrieben wird), selbst dieses Haus, das Ursula Scheer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG vorstellt, verlangt körperliche Anwesenheit.
Zwischen Trockeneisnebel und Laser-Projektionen, Video-Installationen und fluiden Computersimulationen stellte sich bei der Autorin "ein fast meditativer Zustand ein". Und es überkam sie die Frage: "Regt das zum Nachdenken über den Klimawandel und die digitalen Möglichkeiten der Bewahrung von Naturschätzen an, wie die Erklärtexte im Vorraum nahelegen? Oder ist das kommerzieller Kitsch (der Eintritt ins Museum kostet immerhin 24,50 Euro)?"

Fragen sind eigentlich Aussagen

Solche Fragen sind natürlich heimtückisch wie alle Fragen. Über Fragen als solche lesen wir in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Fragen sind nämlich erkenntnistheoretisch zunächst keine Fragen. Sie sind vielmehr Aussagen. In ihnen sind Thesen, Annahmen, Erwartungen eingelassen, die auf den ersten Blick nicht kenntlich sind."
Das schreibt der Philosoph und Unternehmensberater Reinhard K. Sprenger unter dem Titel "Wer fragt, führt". Es geht da nicht nur um rhetorische Fragen. Auch Meinungsumfragen kranken an dem Problem, das Sprenger so formuliert: "Die Antwort geht der Frage voraus. Man kann nur fragen, was man der Möglichkeit nach weiß. Deshalb erhebt sich die Frage. Sie erhebt sich vor dem Hintergrund ganz bestimmter Einschliessungen und Ausschliessungen – erschafft also Wirklichkeit, bildet sie nicht ab."
Und dann erweist sich jede Befragungssituation ja auch als ein Machtspiel. Man unterzieht sich einem Prozeß oder wird unterzogen. Das Bedrängende des Fragens steckt schon in der Frage, mit der zivilisierte Menschen beginnen: "Darf ich fragen…?" Schon da beginnt das Gefälle: "Der Befragte wird ja nicht von sich aus aktiv, sondern wird zur Reaktion genötigt. Er sagt nicht, er antwortet."
Nach der Lektüre dieses Textes stellt sich aber die Frage, ob man das Fragen wirklich vermeiden oder wenigstens verringern sollte.
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