Aus den Feuilletons

Scharfe Kritik an Beherbergungsverboten

04:08 Minuten
Auf einem Koffergriff ist ein Schild mit dem Wort "Risikogebiet" befestigt.
Freizügigkeit mit Beherbergungsverboten einzuschränken, sei kein sinnvolles Mittel, die Corona-Pandemie zu bekämpfen, meint die "FAZ". © imago-images / Steinach
Von Ulrike Timm · 15.10.2020
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Die "FAZ" spottet angesichts der Uneinheitlichkeit der Corona-Maßnahmen zwischen Bund, Land und Kommunen über die Wiederkehr deutscher Kleinstaaterei und kritisiert scharf das Beharren mancher Politiker auf sinnlosen Verboten.
"Merkur ist in diesen Tagen rückläufig. Das ist kein Grund zur Beunruhigung, es handelt sich um eine optische Täuschung am Planetenhimmel und bedeutet bloß, dass die Welt ein bisschen aus den Fugen ist. Angeblich passieren außergewöhnlich viele unerwartete Zufälle, Planbarkeit nimmt ab, Intuition regiert. Das Spektakel dauert bis zum 3. November. Vielleicht ein Grund, nicht auf errechnete Prognosen zur US-Wahl zu vertrauen. Wobei es dafür bessere Gründe gibt."
Das meinen wir auch, zitieren aber gerne aus der TAZ, die sich der Frage widmet, warum Astrologie besonders in queeren Kreisen so beliebt sei. Vielleicht, so mutmaßt Peter Weissenburger, klänge die Vorstellung, sich "drei rückläufige Merkurwochen lang ins Intuitive schmeißen zu dürfen" einfach so wunderbar nach der Gelegenheit zum Rückzug ins Private via Zauberkunst.
Das gilt dann aber doch für alle, oder?

Buchmesse profitiert von erzwungener Digitalisierung

Die Frankfurter Buchmesse steht unter keinem glücklichen Stern, aber das hat mit optischen Täuschungen am Himmel nichts zu tun, sondern mit dem bekannten fiesen Virus auf Erden. Juergen Boos, Geschäftsführer der Messe, jammert aber in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nicht, auch wenn man die nun komplett digitale Veranstaltung gleich viermal komplett neu planen musste.
Lieber heute als morgen hätte er das Messegedrängel samt Branchenknuddeln und geschäftsfördernden Zufallsbegegnungen wieder, und doch wird die Buchmesse seiner Meinung nach auch in Nach-Corona-Zeiten von der Digitalisierung profitieren.
Ganz neue Leute würden nämlich Interesse entwickeln, die bislang gar nicht zum Kreis der Besucher gehört hätten, gerade habe man etwa "eine internationale Verlegerkonferenz ausgerichtet, die sonst physisch stattgefunden hätte. Normalerweise wird sie von vielleicht 200 Leuten besucht, dieses Jahr waren es rund 800 Zugeschaltete. Ein Verleger aus Brunei war dabei, Teilnehmer aus der ganzen Welt, trotz Zeitverschiebung. Da müssen Leute mitten in der Nacht aufgestanden sein, um an dieser Konferenz teilzunehmen."
Das ganze Interview mit Jürgen Boos finden Sie in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.

Wiederkehr deutscher Miniaturherzogtümer

Hoteliers und ihre Mitarbeiter müssen derzeit seltener nachts aufstehen - kommt ja sowieso kaum noch jemand. Gerichte in mehreren Bundesländern haben das Beherbergungsverbot zwar mittlerweile gekippt, aber die Verwirrung ist zu vollständig, als dass das der Branche Mut machen könnte. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE fragt: "Warum beharren viele Politiker trotzdem auf solchen Verboten?" - und donnert regelrecht:
"Wer hätte noch vor ein paar Monaten geahnt, dass im Jahr dreißig nach der deutschen Wiedervereinigung das Reizthema Reiseeinschränkung Deutschland derart in Rage versetzen würde? Wer wäre auf den wahnwitzigen Gedanken gekommen, dass die deutsche Kleinstaaterei eines Tages mit einer solchen Wucht wiederkehren und Demarkationslinien kreuz und quer durch das Land ziehen könnte? Jetzt ist der Tag gekommen, nur dass unsere Miniaturherzogtümer zu Bundesländern, Landkreisen und Stadtbezirken geworden sind."

Neuer Podcast über Wirtschaftsmythen

Und weiter protestiert die FAZ: "Im Gegensatz zur geschlossenen Phalanx der wissenschaftlichen Expertise scheinen viele Politiker allen Ernstes daran zu glauben, dass Corona zwar in kürzester Zeit den gesamten Globus erobern, dann aber zwischen Ostsee und Alpen mit Beherbergungsverboten im Zaum gehalten werden kann - die überdies nur für Touristen und nicht für Geschäftsreisende oder Pendler gelten." Fazit der FAZ: "Permanente prophylaktische Panik."
Schließen wir trotzdem optimistisch. Die TAZ stellt einen neuen Podcast vor, der Wirtschaftsmythen aus linker Perspektive dekonstruiert. Davon mag man nun halten, was man will, aber die erstaunliche Titelzeile macht doch mal so richtig Mut, sie lautet: "Wirtschaft ist relativ leicht zu verstehen."
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