Aus den Feuilletons

Regelrecht erstickte Debatten

04:12 Minuten
Ein steinerner Adler, fotografiert am ehemaligen Hohenzollern-Schloss Lindstedt in Potsdam.
Das Haus Hohenzollern geht juristisch gegen kritische Berichte vor, schreibt die FAZ. © picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Von Klaus Pokatzky · 08.09.2020
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Wer über die Verstrickung des einstigen Kaiserhauses Hohenzollern mit dem Nationalsozialismus berichtet, werde mit Unterlassungsaufforderungen bedrängt, heißt es in der FAZ. Die Folge: Eine notwendige Debatte finde kaum noch statt.
"Wer hinschaut und sieht, ordnet ein", schreibt Felicitas Hoppe in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG.
"Er gleicht Bekanntes mit Unbekanntem ab, Unvertrautes mit scheinbar Vertrautem und bildet dabei jenes nützliche Vorurteil aus, ohne das, seine Revision immer mitgedacht, menschliche Kommunikation nicht möglich ist. Verben sind beweglich, Substantive dagegen frieren sie ein und gießen sie in eine statische Norm."
Dann suchen wir jetzt mal nach den flexiblen Verben und den eiskalten Substantiven.

Hygienekonzepte für kleine Läden nicht realisierbar

"Kaum jemand geht auf Lesereise", lesen wir in der TAZ, wo Corona die schönen Lesestunden weitgehend eingefroren hat.
"Für kleinere Läden, Buchläden etwa, die in der Vergangenheit immer engagiert Lesungen veranstaltet haben und da schon ihr Herzblut unentgeltlich in die Organisation gesteckt haben, ist es oft nicht mehr handhabbar", schreibt die Schriftstellerin Katrin Seddig. "In ihren Läden ist nicht genug Platz, um ein Hygienekonzept umzusetzen."
Manchmal aber hat sie noch das Glück, in größeren Räumen aufzutreten - allerdings immer nur mit wenigen Menschen; Corona fordert ihren Abstandstribut. "Jemand hat es möglich gemacht, jemand bezahlt mich, jemand zeigt Interesse, kommt und hört sich mich an. Dafür bin ich dankbar."
Was hatte noch ihre Schriftstellerkollegin Felicitas Hoppe in der NEUEN ZÜRCHER angemerkt? "Der Mensch ist nun einmal darauf angewiesen, dass man ihn wahrnimmt, dass man ihn sieht. Auf das Ansehen der Person kommt es an."
Und: "Das Ansehen bezeichnet den Status, den wir in einer Gruppe oder Gesellschaft genießen." In einer Demokratie sollte sich das jeder gleichberechtigt erarbeiten können. Wir leben ja nicht mehr zu Kaisers Zeiten - oder?

Haus Hohenzollern geht gegen kritische Berichte vor

"Eine Demokratie ist auf die kontinuierliche kritische Vergegenwärtigung ihrer Geschichte angewiesen", heißt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
"Im deutschen Falle bezieht sich das in besonderer Weise auf den Aufstieg und die Machtübernahme des Nationalsozialismus und damit auch auf die Rolle und Verantwortung der traditionellen Eliten bei diesen Entwicklungen", stellen Eva Schlotheuber und Eckart Conze fest. "Die Sache geht uns alle an."
Es geht um das einstige Kaiserhaus Hohenzollern, das Entschädigungen für verlorene Besitztümer haben möchte - und wie es dabei gegen Historiker und Journalisten vorgeht, die in diesem Zusammenhang auf unheilvolle Kumpanei von Hohenzollern mit den Nationalsozialisten hinweisen.
"Ausdruck dessen ist eine steigende Zahl von Abmahnungen und Unterlassungsaufforderungen. Die Familie selbst sprach im Februar 2020 von 120 Fällen", schreiben Eva Schlotheuber und Eckart Conze - zwei aus der Historikerzunft, die alles haben, was Felicitas Hoppe in der NEUEN ZÜRCHER so beschrieben hat: "Prestige und Profil, Rang und Reputation."

Eine Debatte findet kaum statt

Beim Kaiser konnten Majestätsbeleidiger noch hinter Gittern landen; seine Nachkommen müssen heute mit den Mitteln des Rechtsstaates gegen ihre Opponenten kämpfen.
"Viele Betroffene haben seither Interviews oder andere mediale Äußerungen abgelehnt, manche Journalisten wurden aufgrund der drohenden Anwaltskosten von ihren Redaktionen mit anderen Aufgaben betraut", so Eva Schlotheuber und Eckart Conze in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN.
"Das unverzichtbare öffentliche Aushandeln der für die Bundesrepublik so wichtigen Thematik ist unter diesen Umständen deutlich erschwert, die Debatte wird regelrecht erstickt."
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