Gutachterdilemma im Hohenzollernstreit

Historiker und Juristen tauschen die Rollen

05:11 Minuten
Die Burg Hohenzollern bei Bisingen umrahmt von herbstlich gefärbten Bäumen.
Symbol längst vergangener Macht: Die Burg Hohenzollern auf der schwäbischen Alb war einst Stammsitz der Familie. © Thomas Warnack/dpa
Von Christiane Habermalz · 03.03.2020
Audio herunterladen
Im Hohenzollernstreit müssen Historiker für Gerichte Gutachten erstellen und Juristen historische Ereignisse juristisch bewerten. Hauptfrage ist: Hat Hohenzollern-Kronprinz Wilhelm dem Nationalsozialismus erheblich Vorschub geleistet oder nicht?
Der Hohenzollernstreit in all seinen Facetten hat längst in einem Maße die Öffentlichkeit erreicht, dass sich Bundesverfassungsrichter a. D. Dieter Grimm gleich zu Beginn genötigt sah, klarzustellen, worum es an diesem Abend nicht gehen sollte: Nicht darum, ob der Hohenzollern-Kronprinz Wilhelm dem Nationalsozialismus erheblichen Vorschub geleistet hat. Nicht darum, ob die Entschädigungs- und Restitutionsansprüche des Hauses Hohenzollern berechtigt sind oder nicht, und auch nicht um eine Bewertung der Rolle Preußens in der deutschen Geschichte.

Rechtliche, historische, politische und moralische Fragen

Mancher unter den Zuhörern im mehr als voll besetzten Saal des Wissenschaftskollegs mag da eine gewisse Enttäuschung verspürt haben. Dennoch wurde der Abend alles andere als langweilig. Denn es ging um das eigentlich viel interessantere Spannungsverhältnis, das entsteht, wenn Historiker auf einmal Auftragsgutachten für Gerichte erstellen müssen und Juristen sich gezwungen sehen, historische Ereignisse in juristische Kategorien zu packen.
Längst hat der Streit auch die Politik und den Bundestag erreicht.*
"Die Hohenzollernfrage verknüpft auf nicht ganz einfache Weise verschiedene Fragenkomplexe miteinander: rechtliche, historische, politische, vielleicht sogar moralische. Und jede hat ihre eigene innere Logik, ihre eigene Sprache und ihre eigenen Bedeutungsebenen", fasst es der Historiker und Publizist David Motadel zusammen.

Besucher laufen durch den Prinzengarten des fertig-sanierten Schlosses Cecilienhof.
Das Schloss Cecilienhof wurde von Kaiser Wilhelm II. für seinen Sohn gebaut. Hier unterzeichneten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg das Potsdamer Abkommen.© Christoph Soeder/dpa
Der Grund dafür: Weil den Hohenzollern eine Entschädigung für ihren enteigneten Besitz nur zusteht, wenn Kronprinz Wilhelm dem Nationalsozialismus nicht erheblich Vorschub geleistet hat, musste diese Frage von Historikern bewertet werden – in Auftragsgutachten, die gerichtsrelevant sind.
Schon das sei sehr unhistorisch, erklärte Daniel Schönpflug, Historiker an der FU Berlin:
"Das heißt, eine Gutachtensorte, wo von einer Seite gegen eine andere Seite ein Auftrag erteilt wird. Und das ist natürlich eine Sorte von Begutachtung, die mit der Unabhängigkeit von gutachterlicher Tätigkeit, wie sie für Historiker normalerweise üblich ist, in einer gewissen Spannung steht."

Was bedeutet "erheblich Vorschub leisten"?

Was "erheblich Vorschub leisten" bedeutet, ist freilich weder historisch noch juristisch klar definiert. Immerhin hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil zum Industriellen Alfred Hugenberg Leitlinien aufgestellt. Darin heißt es: Von erheblichem Vorschub sei dann auszugehen, wenn der Betroffene bei der Unterstützung des NS-Regimes eine gewisse Stetigkeit an den Tag gelegt habe und dieses Handeln auch eine gewisse Wirkung für das Regime gehabt habe.
Dennoch: Das sei eine juristische Kategorisierung, die für Historiker gewisse Probleme aufwerfe, so Schönpflug:
"Denn wenn man einem Historiker aufträgt, darüber ein Urteil zu fällen, ob erheblicher Vorschub vorliegt, und das auch eine juristische Konsequenz hat, dann ist das natürlich ein Stück weit auch die Übertragung von Urteilskompetenz auf den Historiker und dafür sind Historiker zumindest in dieser Art und Weise nicht ausgebildet."
Der Innenhof von Schloss Cecilienhof. Auf der Rasenfläche im Ehrenhof befindet sich ein fünfzackiger Sowjetstern aus roten Blumen.
Seitdem befindet sich auf der Rasenfläche im Ehrenhof ein fünfzackiger Sowjetstern aus roten Blumen.© Frank Rumpenhorst/dpa
Und noch ein Unterschied: Geschichtswissenschaftler sind es gewohnt, auf den Kontext zu schauen, etwa den Kronprinzen nicht ohne die Aktivitäten der anderen Familienmitglieder zu sehen – des abgesetzten Kaisers oder des Bruders des Kronprinzen, August Wilhelm, der Mitglied der NSDAP und Offizier der SA war.
Anders dagegen die Juristen. Hier steht immer die Einzelverantwortung des Individuums im Fokus, räumte Marietta Auer, Rechtsprofessorin an der Justus-Liebig-Universität Gießen, ein:
"Zu der wichtigen Frage, die Daniel Schönpflug aufgeworfen hat: Ja, es geht hier um eine konkrete Person, nämlich den damals handelnden Eigentümer, also es ist eine gewisse Individualisierung, die hier vorgenommen wird. Frage: Wie akkumuliert das Recht dann gewisse kollektive Zusammenhänge, in denen diese Person gehandelt hat?"

Fonds einrichten, um Historiker gegen Klagen zu schützen

Wie würde nun ein Gericht mit den sich zum Teil wiedersprechenden historischen Gutachten umgehen? Im Rahmen einer Beweisaufnahme würde es die Wissenschaftler als Sachverständige einvernehmen und im Zweifel noch ein eigenes unabhängiges Gutachten in Auftrag geben.
Vielleicht könnte das ja zum Gegenstand haben, der Frage nachzugehen, ob es so etwas wie eine herrschende Meinung unter den Historikern gibt, schlägt Ex-Verfassungsrichter Grimm am Ende vor. Mit dieser Kategorie können auch die Juristen etwas anfangen. Und die Wissenschaftsfreiheit?
Historiker Motadel schlägt am Ende vor, dass der Historikertag einen Fonds einrichten solle, um Historiker gegen Klagen zu schützen. Denn die Unterlassungsklagen des Hauses Hohenzollern hätten schon jetzt die Debattenkultur negativ verändert.

* Aus rechtlichen Gründen haben wir an dieser Stelle im Text (und im zugehörigen Audio) einen Satz gelöscht.
Mehr zum Thema