Aus den Feuilletons

Rednerin des Jahres

04:15 Minuten
Die zur Raute gefalteten Hände der Bundeskanzlerin.
Reden kann man auf viele Arten: mit dem Mund, der Körperhaltung und den Händen. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Klaus Pokatzky · 13.12.2020
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Angela Merkel ist nicht gerade bekannt für ihre mitreißende Reden, doch die letzten waren ungewohnt emotional. In einer nicht ganz ernst gemeinten Umfrage des "Tagesspiegel" wurde sie nun zur besten Rednerin des Jahres gekürt.
"Unhöflichkeit ist das Gebot der Stunde", erfahren wir aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Das gesamte Jahr 2020 war", steht im Berliner TAGESSPIEGEL, "ein beschissenes Jahr. Es sind Dinge passiert, die wir uns nicht in den schlimmsten Albträumen hätten vorstellen wollen".
Das sagt im Interview Dieter Semmelmann, der Open-Air-Konzerte organisiert und damit zu denen gehört, die wirtschaftlich am meisten unter Corona zu leiden haben, was immer auch der Staat an Hilfen für die Kultur bereitstellen mag:
"Ich habe manchmal das Gefühl, dass in den Ministerien größtenteils Leute verantwortlich sind, die vor allem mit der subventionierten Kultur zu tun haben – mit Theatern, städtischen Konzertsälen, Orchestern. Es besteht weniger Erfahrung, wie die moderne Kultur funktioniert."
Das ist jetzt sehr höflich ausgedrückt. "Nicht mehr die Höflichkeit ist der Liebe verwandt, sondern die Distanz", fasst die FRANKFURTER ALLGEMEINE unsere zeitgemäßen Umgangsformen zusammen. "Unhöflichkeit ist das Gebot der Stunde, so schwer das auch fällt, und das Weihnachtsfest verschärft das Dilemma noch", meint Julia Bähr.

Konsumverzicht muss nicht hart sein

"Dieses Jahr werden wir mal wieder eine eingezogene Weihnacht erleben, aber da bleibt dann Zeit zum Nachdenken: Wie kann man dem Weihnachtsmann sein Thema zurückgeben?", ermuntert uns Thomas Hauschild. "Zum Beispiel, indem man nichts schenkt. Konsumverzicht wäre ja mal eine sehr weihnachtliche Idee", rät der Ethnologe uns allen im Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Die fragt, unter Verweis auf den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten: "Armin Laschet sagt, auf uns komme das härteste Weihnachten seit Kriegsende zu. Ist es so schlimm?" Antwort von Thomas Hauschild: "Ich verstehe gar nicht, was er meint. Wir sind eine leicht verfressene Bevölkerung, die gerne schunkelt und Nasen reibt bei Glühwein, wo sich dann immer alle betatschen und bequatschen. Jetzt müssen wir halt mal kürzertreten."
Das wird nicht jeden erfreuen, ist aber als Antwort auf Armin Laschet von einer bewundernswerten Höflichkeit. Denn der Regierungschef in Düsseldorf und Kandidat für den CDU-Vorsitz sollte vielleicht einmal ein wenig Nachhilfeunterricht in deutscher Nachkriegsgeschichte nehmen. Dort könnte er dann erfahren, dass es nach dem Krieg den sogenannten "Hungerwinter 1946/47" gab, in dem mehrere Hunderttausend Deutsche ihr Leben gelassen haben.

Jetzt lernen, Nein zu sagen

"Auf einmal hatte die Sprache der Politik auch 2020 wieder Kraft", erfahren wir im TAGESSPIEGEL – und dass es auch in der Politik klügere Äußerungen zu Corona und ihrer Dimension gibt. "Zum zweiten Mal hatte ich den hiermit traditionsreichen Wettbewerb 'Rednerin oder Redner des Jahres' ausgeschrieben", teilt uns Klaus Brinkbäumer augenzwinkernd mit.
"Erste: Angela Merkel", das ist sein Ergebnis: "Da sie in der Coronakrise gemerkt hat, dass erstens das Kommunizieren wichtig ist und es zweitens um Emotionen, Einsicht, Überzeugung geht, hat sie zu einem anderen Stil gefunden." Daran kann sich mancher Mann ein Beispiel nehmen.
"Immerhin bietet die Pandemie mal neue Impulse für familiäre Uneinigkeit an Weihnachten", so die FRANKFURTER ALLGEMEINE, "weil man ja nicht endlos über die korrekte Aufstellung der Krippe diskutieren kann", meint Julia Bähr optimistisch. "Und wer jetzt lernt, Nein zu sagen, ohne sich danach schlecht zu fühlen, der kann diese Fähigkeit auch in der ferneren Zukunft bestens einsetzen." Aber Geschenke sollten vielleicht doch sein...
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