Aus den Feuilletons

Ratlos gegenüber den Mitteln des Theaters

04:13 Minuten
Lorena Handschin (als Kim) kniet während der Fotoprobe zu "zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden" von Svealena Kutschke in der Regie von Andras Dömötör auf einem Teppich, um sie herum ein Stuhlkreis, in dem Frauen und Männer sitzen, aufgenommen am 6. Juni 2019 in der Box des Deutschen Theaters Berlin
Szene aus "zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden" von Svealena Kutschke – eines der Stücke, denen die "FAZ" eine "Ratlosigkeit gegenüber den Mitteln des Theaters" attestiert. © imago images / Martin Müller
Von Adelheid Wedel · 10.06.2019
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Bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin wurden Texte von drei Frauen gekürt "und in keinem geht es um Sexismus", wundert sich die "SZ". Dem "Tagesspiegel" fehlten Narrative, die "FAZ" stellt gar eine "theaterverweigernde Haltung" fest.
Diese Kulturpresseschau ließe sich mit lustigen Überschriften füllen. Hier ein paar Beispiele: "Ein Seitensprung ohne Schnarchen" (gehört zu einer Rezension in der "Neuen Zürcher Zeitung"), "Geschrieben wird nachts" (über einem Beitrag zum französischen Soziologen Pierre Bourdieu), "Frauen müssen die Macht an sich verändern" (im "Tagesspiegel") und: "So schön kann man aus der Zeit fallen" (ebenfalls in der "Neuen Zürcher Zeitung"). Wenn das keine Lust aufs Lesen macht.

Enttäuschung über die Autorentage am Deutschen Theater

Aber ein wenig Inhalt soll diese Zusammenfassung doch auch bringen. Wir wär's mit einem Blick auf "Die Formel des Glücks", die zu ergründen uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG mit ihrem Bericht über die Autorentheatertage des Deutschen Theaters Berlin verspricht. Dieser Bericht beginnt weniger rätselhaft als es scheint mit "Viel reden, aber nicht miteinander".
Irene Bazinger fährt fort: "Neue Stücke von Autorinnen zeugen von Ratlosigkeit gegenüber den Mitteln des Theaters." Angesichts des Erlebten fragt sie: Wird die Welt besser, wenn drei Frauen drei Stücke von drei Frauen für eine Veranstaltung auswählen? Den drei Uraufführungen billigt sie "zwar interessante, reflektiert gebaute und vehement über den eigenen Bauchnabel hinausblickende Texte" zu, kritisiert aber deren "seltsam theaterverweigernde Haltung."
Auch Christine Wahl packt im TAGESSPIEGEL ihre Enttäuschung über das diesjährige Gegenwartsdramatikfestival in die Frage: "Wo sind bloß die Narrative hin?" In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wundert sich Anna Fastabend: "Drei Stücke von Frauen - und in keinem geht es um Sexismus." Die Uraufführungen der drei Gewinnertexte des Stückewettbewerbs wurden aus insgesamt 113 Einsendungen ausgewählt. Das Besondere dabei: "Die Texte stammen dieses Jahr ausschließlich von Frauen." Anna Fastabend freut das, weil Dramatikerinnen noch viel zu selten auf deutschsprachigen Bühnen gespielt werden."

Sheroes braucht das Land

Machen wir gleich mit einem Blick in den TAGESSPIEGEL und mit Frauenpower weiter. Zur Erinnerung die Überschrift: "Frauen müssen die Macht an sich verändern." Wie meinen das Gerrit Bartels und die interviewte Schriftstellerin Jagoda Marinic? Eine Seite Zeitungslektüre gibt Auskunft. Hier nur in Kürze: Marinic spricht über ihr neues Buch, in dem sie fordert: "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land". Die Autorin sagt: "Sheroes sind für mich jene Menschen, die gesellschaftliche Kämpfe hinter sich haben und davon berichten, damit andere lernen können."
Und weiter: "Zunächst geht es überhaupt darum zu sprechen, den öffentlichen Raum zu erobern. Im deutschen öffentlichen Leben ist der redende Mann die Normalität, der denkende, das Zeitgeschehen einordnende Mann ist die Regel." Aber: "Frauen haben die Möglichkeit, Machtstrukturen infrage zu stellen, sie können flachere Hierarchien schaffen." Und ganz wesentlich die Überzeugung der 1977 in Waiblingen geborenen Schriftstellerin: "Ja, auch Männer profitieren vom Feminismus. Es geht um Deformierungen in Familien, in Führungspositionen, in Machtstrukturen. Viele Männer haben keine Lust mehr auf die Zwangsjacken von früher, auch Männer wollen mehr Zeit mit ihren Familien, beispielsweise." 2016 erschien von Jagoda Marinic das Buch "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?"

Erfahrungen als "Deutsch plus"

Eine ähnliche Überlegung stellt Inna Hartwich in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG an. Dort heißt es: "Was aber ist deutsch und wie deutsch muss man sein, um deutsch zu sein." Die Autorin informiert über mehrere Podcasts, die in jüngster Zeit entstanden sind, in denen Kolleginnen und Kollegen "mit irgendwie geartetem Migrationshintergrund eins tun: einfach drauflosreden, über ihre Erfahrungen als 'Deutsche plus', über Mehrsprachigkeit und abwesende Eltern, über das Kopftuch, die Afrofrisur, die Besuche im Land der Eltern, über Hänseleien und Auffälligkeiten, über das 'Leben mit einer Art Handicap' – über Rassismus."
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