Aus den Feuilletons

Polemischer Architekt und alberne Autorin

Fahrradfahrer sind am 16.05.2014 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin unterwegs.
Fahrradfahrer sind am 16.05.2014 auf dem Tempelhofer Feld in Berlin unterwegs. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Maximilian Steinbeis |
Der Architekt Hans Kollhoff wettert gegen die Pläne, den Flughafen Tempelhof zu bebauen und die Autorin Juli Zeh macht sich in ziemlich alberner Art über Kanzlerin Merkel lustig. Einen wahren Kulturgenuss gab es dagegen in Cannes.
Die besten Polemiker sind immer noch die Architekten. Wer von Berufs wegen gewohnt ist, Monumente seines Stilgefühls in die Landschaft zu stellen, der hat auch keine Angst vor klarer Aussprache, wenn ihm etwas nicht gefällt. Das bekommt pünktlich zur Tempelhof-Volksabstimmung am Sonntag die Berliner Senatsverwaltung zu spüren. Für deren Pläne, die 3,8 Quadratkilometer Leere des ehemaligen Flughafens Tempelhof zu entwickeln und zu bebauen, hat Hans Kollhoff in der WELT nur schneidenden Spott übrig: Etwas gut Gemeintes, Gefälliges oder Lustiges hinzubasteln und Grün darüber wachsen zu lassen, (...) verbietet sich hier, donnert der Baumeister. Stadtbau sei gefragt, nicht Siedlungsbau, denn städtisches Leben erschöpft sich nicht im Wohnen. Wohnsiedlungen hochzuziehen wie in den 70er-Jahren sehe doch auf den ersten Blick nur deshalb günstiger aus (...), weil dabei die Komplexität der Stadt ausgeklammert wird. Wer heute billig zu bauen vorgibt, will absahnen.
Juli Zeh wird mit Hansi Hinterseer verglichen
Polemik, das hatte wohl auch Juli Zeh im Sinn mit ihrem gemeinsam mit Charlotte Roos verfassten Theaterstück "Mutti", das in Recklinghausen uraufgeführt wurde. Mutti, das ist Angela Merkel, die in dem Stück gemeinsam mit ihren koalitionären Mitstreitern Gabriel, von der Leyen und Seehofer einer Art Gruppentherapie unterzogen wird. Das Ding, von dem Zeh glaubt, es sei eine Satire, spielt, wie kühn, in der nahen Zukunft, schreibt Andreas Rossmann in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, um dessen Zahnschmelzabrieb man sich Sorgen machen muss, so sehr knirscht er vor Wut mit den Zähnen. Kasperletheater mit Menschen, knurrt er. Alberne Affirmation. Wenn das politisches Theater ist, dann ist Hansi Hinterseer ein Protestsänger. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG bleibt Vasco Boehnisch gelassener: Ein Schlüsselloch-Dramolett hat er in Recklinghausen gesehen, das nicht in die Theatergeschichtsbücher (...) eingehen werde, aber immerhin allerhand gut Beobachtetes enthalte. Zum gleichen Fazit gelangt auch Stefan Keim in der WELT: Große Aha-Erlebnisse bringt diese Aufführung nicht, aber ein paar hübsche Pointen.
Sternstunde der Kunstvermittlung
Große Aha-Erlebnisse erwartet man vielleicht auch weniger in Recklinghausen als an anderen Orten – in Cannes zum Beispiel, wo heute die Filmfestspiele zu Ende gehen. Zum Glück gibt es Frederick Wiseman!, freut sich in der TAZ Christina Nord. Den Dokumentarfilm des amerikanischen Filmemachers über die Londoner National Gallery nennt sie eine Sternstunde der Kunstvermittlung. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG feiert Susan Vahabzadeh den französischen Film "Sils Maria" als wunderbares Essay darüber, dass das Altern nicht schön ist, aber normal, und als Eindruck davon, wo das Kino steht und wie viel es mit der Welt zu tun hat, die es spiegeln sollte. Doch auch in Cannes gibt es andere Momente: Mich überfiel eine unendliche Müdigkeit, bekennt Verena Lueken in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und fragt verdrossen zum neuen Film von Ken Loach: wie oft haben wir so etwas schon gesehen? Ein Festival, so die FAZ-Kritikerin, könne das Kino nicht neu erfinden. Aber es muss schon Sorge tragen, dass es nicht vor der Zeit nur noch eine jährliche Party mit ökonomischem Beiprogramm wird, die vor allem betagte Männer, die sich gut kennen, miteinander feiern.
Ein Aha-Erlebnis in New York
Zuletzt reicht noch die Zeit für ein wirkliches Aha-Erlebnis, zu haben laut Patrick Bahners in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG im neu eröffneten Museum zum 11. September in den Fundamenten des eingestürzten World Trade Centers in New York. Schon der Ort hat bei dem FAZ-Korrespondenten einen tiefen Eindruck hinterlassen: Er vermittelt eine Ahnung von den Dimensionen der Hochhäuser, die vor den Augen der Welt dem Erdboden gleichgemacht wurden. Aber gleichzeitig sieht man ein, dass ihre wirkliche Größe die Vorstellungskraft übersteigt – wenn schon die freigelegten Fundamente babylonische Assoziationen wecken. So spürt man das Missverhältnis zwischen der Großzügigkeit der Bauten, die der Bevölkerung und dem Reichtum zweier Städte Platz boten, und dem minimalen Aufwand, der für ihre Zerstörung genügte. Alles Wissen über die Zahl und Höhe der Stockwerke kann diesen Eindruck am Ort nicht ersetzen.
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