Aus den Feuilletons

Normale Lebensfreude im hohen Alter

04:15 Minuten
Ein Senior zeigt sein Impfbuch mit dem Nachweis, gegen Corona (Sars-Cov2; Covid 19) geimpft zu sein.
Betagt und geimpft: Ab in den Urlaub © imago-images / Action Pictures
Von Hans von Trotha · 10.03.2021
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In der "FAZ" plädiert eine Professorin der Medizinethik vehement für Erleichterungen für Corona-Geimpfte, denn: Jeder "Normalitätszuwachs" sei ein Wert für sämtliche Bürger, wenn die Impfungen die versprochenen Erfolge liefern.
Mindestens drei Bereiche gibt es, in denen man mit dem Begriff "normal" besonders vorsichtig sein sollte: die Kultur, das Wetter und die Ethik. Oder etwa doch nicht?

Plädoyer für ein "Maximum an Normalität"

"Normalität - ja was denn sonst?", ruft Bettina Schöne-Seifert, Professorin am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster in der FAZ aus.
"Für Corona-Geimpfte sollten Erleichterungen selbstverständlich sein, wenn die Impfungen die versprochenen Erfolge liefern", findet sie und gibt ein wenig "Nachhilfe aus dem ethischen Proseminar".
"Jeder Normalitätszuwachs ist ein Wert für sämtliche Bürger", konstatiert sie. Die ethische Lage illustriert sie unter anderem mit der Bemerkung:
"Nicht selten hört man in dieser Debatte, wie absurd es doch sei, karibische Strände oder angesagte Diskotheken den geimpften Alten zu überlassen. Was für eine anmaßende Bevormundung und was für eine absurde Gnade, für 'die Alten' zwar das Risiko einer tödlichen Erkrankung zu senken, dann aber das ihnen statistisch geschenkte Leben freudloser werden zu lassen, als es sein könnte. Ja wozu rettet man denn Leben?", fragt sie in ihrem ethischen Plädoyer für ein Maximum an Normalität.

Der tiefe Fall des Piers Morgan

Der berühmteste literarische Versuch, normales Wetter zu beschreiben, hebt so an: "Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu." Robert Musil, "Der Mann ohne Eigenschaften, erster Satz. Es wird langsam heiß.
So viel Zeit kann man sich im Tagesfeuilleton nicht nehmen. Und so legt die SÜDDEUTSCHE gleich los mit: "Hitzerekord in London". Untertitel: "Ein Wetterbericht aus einem gespaltenen Land".
Auch Elisa Britzelmeier und Cornelius Pollmer zitieren hohe Literatur: "Es war einmal vor bald 300 Jahren, dass der Scheinriese Gulliver nach Liliput reiste und dass er dort auf so herausragende Weise abgezogen wurde von einer Armee der Vielen, dass nach ihm ein noch heute gültiges Gesetz benannt werden könnte. Die Großen fallen am schönsten". Thema ist der "gehassliebte TV-Moderator Piers Morgan".
Gina Thomas schreibt mit fast schon britischem FAZ-Understatement von "Morgans provozierendem Stil". Er habe "noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, weder als Boulevardjournalist noch als Fernsehmoderator."
Die SÜDDEUTSCHE nennt ihn einen "in Großbritannien weltbekannten Interviewer, Unterhalter und Fernsehkotzbrocken". Der sei nun "im bislang größten Zwischenfinale seiner Karriere mitten in seiner eigenen Fernsehsendung aufgestanden und aus dem Studio gepoltert."
Sämtliche Medien berichteten, jetzt sind die Feuilletons dran, am pointiertesten die SÜDDEUTSCHE: "Er wird die Hitze aushalten, nicht nur, weil das ultrahocherhitzte Großbritannien diese Hitze liebt, sondern auch weil er selbst es mal so ausdrückte: 'All the heat should come my way'."

Rassismusvorwürfe gegen das britische Königshaus

Am nachdenklichsten die TAZ: "Die Rassismusvorwürfe von Meghan Markle und Prince Harry an das britische Königshaus drohen vom üblichen Klatsch und Victim Blaming überdeckt zu werden", befürchtet dort Mohamed Amjahid. "Doch", meint er, die Debatte "könnte Vorbild für Marginalisierte sein".
"Die Schilderungen von Meghan Markle und Prince Harry dürfen nicht von Promi-Expert*innen im Frühstücksfernsehen oder im Nachmittagsprogramm analysiert werden", führt er aus. "Sie sind genuin politisch." Und:
"Weil die Yellow Press Teil dieser Geschichte ist, dürfen die Analysen des Oprah-Interviews nicht der Klatschpresse überlassen werden. Auch in Deutschland nicht."
Hier ist das Thema derzeit im Feuilleton zwischengeparkt, das der Versuchung der pointierten Zuspitzung nicht immer widersteht. So soll ein Treffen zwischen Piers Morgan und Herzogin Meghan im Pub, so die SÜDDEUTSCHE, "mit genauem Klatschspaltenmaß wiedergegeben werden", weil, so die vorauseilende Entschuldigung, "das von Morgan als 'Ghosting' klassifizierte Nichtmelden der Herzogin ein so wichtiges wie interessantes Merkmal des gesamten Vorgangs ist."
Außerdem zitiert die SÜDDEUTSCHE – und da kommen wir noch einmal zurück zur Ethik – den "bayerischen Moralphilosophen Karl-Heinz Rummenigge, der vielleicht auch mit Blick auf das Königreich im Nordwesten sagen würde, in England hätten sie halt eine ganz andere Kultur."
Und was ist da schon normal.
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