Aus den Feuilletons

Neue Ideengeschichte von Habermas

04:18 Minuten
In einer Bibliothek sind auf einem Schild über einem Bücherregal die Worte Religion und Philosophie zu lesen.
Dass Religion und Philosophie in der Bücherei so nahe beieinander stehen, hat nicht nur alphabetische Gründe. © Deutzmann / Eibner / imago-images
Von Paul Stänner · 08.11.2019
Audio herunterladen
Jürgen Habermas erzählt in seinem neuen Werk die Geschichte der Philosophie. Wie auch die Religion habe sie der "sozialen Integration von Gesellschaften" gedient, schreibt die "FAZ", allerdings ohne sich zu einer Buchempfehlung durchringen zu können.
Ausführlich haben wir in den letzten Tagen den Fall der Mauer durchdiskutiert und die Folgen analysiert und polemisiert. Ein letztes Thema ist noch offen: "Hatten die Frauen im Sozialismus besseren Sex?"

Der Sex im Kapitalismus und im Sozialismus

Die WELT zieht den Essay einer amerikanischen Ethnologin und Historikerin zu Rate. Ihre These lautet: "Kapitalistische Gesellschaften fördern den Tausch von Liebe und Sex gegen Geld. Im Sozialismus dagegen konnten Frauen ihre Partnerwahl stärker an sexuellen und emotionalen Bedürfnissen ausrichten."
Die WELT will wissen: "Die DDR der Fünfzigerjahre war gesellschaftlich, politisch und kulturell anders geprägt als die DDR der späten Achtziger. Hatten die DDR-Frauen gleichbleibend guten Sex?"
Die Frage wird aber weder von der Ethnologin noch von der WELT beantwortet, sodass wir weiter im Ungefähren schweben. Oder das Thema in die Polemik verschieben: Hatte es im Sozialismus wirklich guten Sex gegeben, hat ihn mit Sicherheit die Treuhand verdorben.

Kritik an den Gender Studies

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG faltet eine themenverwandte, aber aktuelle Debatte auf: Sind Gender Studies ein Wissenschaftsfach oder eine Ideologie? Hintergrund ist der Vorwurf einer Publikation, die argwöhnt, Gender Studies seien eine parteiliche Disziplin:
"Weil das Fach keine andere Prämisse vorsähe als jene der unterdrückten Frau. Da ihre Forschung politisch-aktivistisch geprägt ist, kann sie ihren Gegenstand nicht wertfrei analysieren und widerspricht damit dem Gebot der Wissenschaftstheorie."
Der Artikel in der NZZ ist nicht leicht zu durchschauen, weil die Zitate nicht deutlich ausgewiesen sind, er scheint aber der genderkritischen These der Buchautoren zu folgen, wenngleich er sich gegen deren Rechthaberei verwahrt.
1700 Seiten hat Philosoph Jürgen Habermas über die Geschichte seiner Disziplin geschrieben. "Die Gemeinsamkeit von Religion und Philosophie ist für Habermas, dass beide der sozialen Integration von Gesellschaften dienen", schreibt die FAZ.
"Seine Ideengeschichte leitet er ein mit einer Theorie der Religion. Sie soll nachweisen, dass Riten und Mythen in erster Linie dem Zusammenhalt von Lebewesen dienen, die auf Kooperation angewiesen sind." Dazu und zu weiteren Details hat die FAZ "Tausend Rückfragen" und kann sich bis zum Ende nicht entscheiden, ob sie das Konvolut wirklich zur Lektüre empfiehlt.

Handkes jugoslawischer Pass

Einen Nachtrag zur Handke-Debatte, die seit der Nobelpreisverleihung nicht abreißen will, liefert die SÜDDEUTSCHE. Es geht um einen jugoslawischen Pass, den Peter Handke, der sich Tolstoi nahe fühlt, 1999 ausstellen ließ - da tobten die Kämpfe des Jugoslawienkriegs schon seit acht Jahren. Ein Pass, angeblich, weil er dann im Hotel weniger bezahlen musste.
Ein förmliches Verfahren zur Einbürgerung scheint es ebenso wenig gegeben zu haben wie einen Antrag Handkes auf doppelte Staatsbürgerschaft, dennoch erhielt Handke, der wohl gerade von Cervantes kam, dieses Dokument. Man fragt sich, von wem? Das Landesamt Kärnten will nun Untersuchungen aufnehmen.
Vielleicht war ja der Portier so freundlich, Handke einen Pass auszustellen, damit der Homer des serbischen Völkermords im Hotel billiger davon kam.

Fukuymas fehlende Gedankenkraft

Die FAZ hat in Berlin eine Veranstaltung besucht, in der Francis Fukuyama - Sie erinnern sich: der Mann, der 1992 das Ende der Geschichte prophezeite - seine damals steile These den Gegebenheiten anpassen musste.
Denn allzu offensichtlich hat nach dem Sturz der sozialistischen Diktaturen der liberale Westen nicht den Sieg davon getragen. Aber noch immer hält Fukuyama seine Hoffnungen aufrecht und setzt auf die Präsidentenwahl 2020: "Wir werden sehen, ob das amerikanische Volk zweimal denselben Fehler macht."
"Ach, so viel Hoffnung - und so wenig gedankliche Kraft", schreibt die FAZ. Schlecht für Fukuyama, aber ein gutes Motto für das entspannte Wochenende, das wir Ihnen wünschen.
Mehr zum Thema