Aus den Feuilletons

Musik als Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Sir Simon Rattle nach seinem letzten Konzert als Chefdirigent in der Berliner Philharmonie
Großer Applaus für Sir Simon Rattle nach seinem letzten Konzert in der Berliner Philharmonie © picture alliance / Annette Riedl
Von Ulrike Timm · 22.06.2018
Sir Simon Rattle räumt dieser Tage seinen Posten als Chefdirigent beim vielleicht schwierigsten Orchester der Welt, den Berliner Philharmonikern. Der "Tagesspiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" würdigen ihn ausführlich.
"Man weiß nicht, ob es ein gutes Omen für das Schicksalsspiel der Deutschen am Samstag ist, dass auch das beste Buch über Fußball ausgerechnet aus Schweden kommt" - die WELT empfiehlt den Briefwechsel von Karl Ove Knausgård und Frederik Ekkelund zur WM 2014. Knausgård lebt in Schweden, Ekkelund in Brasilien, sie sind beide gut mit Ball am Fuß und haben wohl tatsächlich jedes damalige WM-Spiel auf dem Schirm gehabt.

Knausgård ist der Ronaldo der Literatur

Und dieser Austausch über Fußball und die Dinge des Lebens drumrum scheint Richard Kämmelrings so virtuos und eindrucksvoll, dass er Knausgård zum "Ronaldo der Literatur" erklärt. "Man stelle sich vor, unsere Nationalspieler hätten zur Vorbereitung nicht Taktikvideos und allerlei Infos zum Gegner auf ihren Tablets, sondern diesen 600-Seiter als E-Book!", fantasiert der WELT-Autor.
Lieber Herr Kollege, träumen Sie weiter! Wobei derzeit eine ordentliche Portion Tempo-Spielfreude-Beweglichkeit der anstehenden Partie bestimmt gut tun würde - hinterher können die Kicker ja immer noch die Nase ins Buch stecken. "Kein Heimspiel", so heißt das Buch, das der WELT-Kollege so dringlich empfiehlt. Vielleicht nach dem Abpfiff, weil es dann sowohl Lust- wie Frustlesern ein Vergnügen verspricht?
Wer das Gegenprogramm sucht - es gibt jetzt ein Streamingportal über Königshäuser. Mit Schwerpunkt Großbritannien. "40 Sendungen sind im Angebot, 150 Stunden Programm, genug für echte Monarchisten?" Cathrin Kahlweit von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hat sich tapfer durchgezappt und u.a. einen einstündigen Film über den kleinen Prinz George gesehen, der überzeugend deutlich zeigt, "wie wenig Kinder mit eins nun mal erlebt haben." True Royalty heißt der Kanal, der Sie über sämtliche Kleider und die Kleiderordnung dazu in Kenntnis setzt. Die Überschrift in der SÜDDEUTSCHEN: "Bitte eine Szene."

Kindisch anmutende Personalisierung politischer Vorgänge

Szenen haben "die Angela und der Horst" einander in den letzten Tagen nicht zu knapp gemacht. Die TAZ beschäftigt sich damit, wie dankbar die Medien mitspielen in dieser Tragikomödie. Selbst der Sportjournalismus hinterließ Spuren, zum Beleg zitiert die TAZ die WELT: "'Merkels Streit mit Seehofer über Zurückweisungen an der Grenze: Warum diese Runde an die Kanzlerin ging' - Das Ganze ist also auch ein Boxkampf, irgendwie."
Und weiter: "Die Berichterstattung ist in eine Schieflage geraten - zum einen wegen der kindisch anmutenden Personalisierung politischer Vorgänge, zum anderen, weil der Eindruck erweckt wird, Änderungen des Prozederes an der bayerisch-österreichischen Grenze hätten Einfluss auf die globalen Flüchtlingsbewegungen". Steht in der TAZ.

Sparringspartner für Feuerquallen

Zwei Stunden Seehofer-Pause hat sich die Kanzlerin in den zurückliegenden Tagen übrigens doch gegönnt, sie war im Late-Night-Konzert, das die Berliner Philharmoniker ihrem scheidenden Chefdirigenten Sir Simon Rattle zum Dank schenkten. Einer der Großen der Musik räumt dieser Tage seinen Chefposten beim vielleicht wunderbarsten und wahrscheinlich schwierigsten Orchester dieser Welt.
"Lodernde Leidenschaft für die Sache, flammendes Engagement im Spiel - was Dirigenten bei anderen Ensembles oft mühevoll einfordern müssen, gehört hier zum Selbstverständnis. Aber diese Musikerinnen und Musiker sind zugleich auch Feuerquallen. Und der Dirigent ist hier folglich nie der Boss", schreibt Frederik Hanssen im TAGESSPIEGEL, und gibt seinem fulminanten Abgesang auf die Rattle-Ära in der Überschrift die Jobbeschreibung eines Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker gleich mit: "Sparringspartner für Feuerquallen".
Reinhard Brembeck legt in seiner Würdigung in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG noch einmal dar, wie Ratio, Wissen, Energie und unerschöpfliche Leidenschaft dieses Dirigenten eben nicht in den einen Klang münden, sondern in lauter schillernd-verschiedene, je nach Repertoire, und weiter: "Simon Rattle zeigt es bei seinem Abschied von Berlin noch einmal: Musik kann Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen."
Mehr geht nicht.
Danke.
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