"Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 6 a-Moll in vier Sätzen für großes Orchester, zu Lebzeiten des Komponisten als seine 'Tragische Sinfonie' bezeichnet"
Dirigieren bis zur allerletzten Minute
Mit einem Paukenschlag kam er, mit einem Hammerschlag geht er: Nach 16 Jahren als Chefdirigent verlässt Sir Simon Rattle die Berliner Philharmoniker. Zum Abschied erklingt Gustav Mahlers 6. Sinfonie, die den Hammerschlag in der Partitur trägt.
16 Jahre lang war Sir Simon Rattle Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Bevor sich der Brite in der Waldbühne standesgemäß mit der "Berliner Luft" verabschiedet, dirigiert er noch ein Abonnementskonzert in der Philharmonie. Dass mit Gustav Mahlers Sechster dabei ausgerechnet dessen "Tragische Sinfonie" erklingt, ist ebenso ungewöhnlich wie konsequent. Dieses Werk war am 14. November 1987 das erste, das Rattle mit den Berliner Philharmonikern aufführte.
Hinter dieser Programmankündigung steht ein rund 80 Minuten langes Werk, ein orchestraler Koloss. Nach außen gibt sich das Werk klassizistisch, aber bei genauerer Betrachtung gehört es klanglich und emotional zu den radikalsten Werken der Musik um 1900.
Eigene philharmonische Tradition für Mahlers Sechste
Die Berliner Philharmoniker, bei denen einst auch Gustav Mahler als Dirigent gastierte, haben eine besondere Beziehung zu dieser Musik. Bis zur Zeit des Nationalsozialismus gab es hier etliche bedeutende Mahler-Aufführungen, beispielsweise unter der Leitung von Oskar Fried; nach 1945 war es Sir John Barbirolli, der in der eben errichteten Berliner Philharmonie mit seinen leidenschaftlichen Mahler-Aufführungen das Publikum in Erstaunen versetzte.
Herbert von Karajan hatte zu Mahler ein gespaltenes Verhältnis, erarbeitete aber ebenfalls gültige Interpretationen, gerade auch der Sechsten. Claudio Abbados Mahler-Konzerte mit ihren schier endlosen Momenten des Verklingens sind legendär. Und noch in Karajans Zeit fällt das denkwürdige Debüt Rattles mit eben diesem Werk.
So hat sich über die Jahre hinweg eine eigene philharmonische Tradition der Aufführung von Mahlers Sechster herausgebildet: Die Mehrzahl der Berliner Konzerte rückte den langsamen Satz an die zweite und das Scherzo an die dritte Stelle und wich damit von der umgekehrten Reihenfolge in der alten Mahler-Gesamtausgabe ab. Dieses Detail wirkt zwar akademisch, beeinflusst die Dramaturgie des Abends aber nicht unerheblich. Und es zeigt, wie unsicher die Überlieferungsgeschichte gerade dieser von vielen Legenden umrankten Sinfonie ist.
Mahler selbst hatte nämlich entschieden, die Satzreihenfolge in diesem Sinne zu ändern, nur hatte seine Witwe Alma dies missverstanden und den Herausgebern der alten Ausgabe falsche Angaben gemacht. Erst 2010 konnte die gültige Werkgestalt durch die neue, mit kriminalistischem Scharfsinn erstellte Ausgabe, rekonstruiert werden. So wurde die seit Jahren eher intuitiv gepflegte "Berliner Lesart" auch durch die Forschung bestätigt.
Rückkehr von Rattle bereits geplant
Mit diesem Konzert wird sich ein Kreis schließen. Einmal noch das von Mahler mitkomponierte Läuten der Kuhglocken als Symbol einsamen Friedens, dann fällt der ebenfalls verlangte Holzhammer, und die philharmonische Herde muss ohne ihren Hirten auskommen. Das Happy End wird in der kommenden Saison nachgereicht: Die Rückkehr des Publikumslieblings Sir Simon Rattle als Gastdirigent ist bereits fest eingeplant.
Olaf Wilhelmer hat Berichte von Musikern gesammelt, die von der Zusammarbeit mit dem Dirigenten erzählen. So erinnern sich der Oboist Andreas Wittman, der Kontrabassist Ulrich Wolff und der Geiger Stanley Dodds. Den Beginn macht Tonmeister Christoph Franke, der Sir Simon Rattle bei einem Konzert in der Philharmonie Berlin das erste Mal erlebte.
Das letzte Konzert von Sir Simon Rattle als Chef der Berliner Philharmoniker in der Philharmonie.
Das Konzert steht im Anschluss sieben Tage zum Nachhören bereit.
Live aus der Philharmonie Berlin
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 6 a-Moll
Sinfonie Nr. 6 a-Moll
Berliner Philharmoniker
Sir Simon Rattle