Aus den Feuilletons

Mit 40 in Rente

04:19 Minuten
Ein Mann um die 40 schläft auf einem Sofa.
Sogenannte Frugalisten träumen von einem Leben jenseits der Erwerbsarbeit. © imago images / YAY Images
Von Arno Orzessek · 03.01.2021
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Wer früh in Rente will, muss vorsorgen. Sogenannte Frugalisten sparen einfach konsequent die Hälfte ihrer Einnahmen, um mit 40 in Rente zu gehen – oder wie die "FAZ" schreibt: Sie opfern ihr gegenwärtiges Leben für Träume vom zukünftigen Glück.
"Wie viele Menschen müssen geimpft werden, damit wir wieder mehr über Klimawandel sprechen?", möchte die TAGESZEITUNG in der Rubrik "Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?" von Selbigem erfahren. Weil Friedrich Küppersbusch natürlich keine genauen Zahlen nennen kann, flüchtet er sich ins Grundsätzliche:
"Tolle Auswahl zwischen Gegrilltwerden und Ersticken. Immerhin schlägt beides je ärmer, desto schlimmer zu. Das schenkt uns zwei Erkenntnisse. Erstens: Selbst ohne Corona und Klimawandel ist die Welt ein ungerechter Ort. Und zweitens: Wir können, wenn wir wollen."
Tja, wie sich diese Erkenntnisse aus dem Umstand erschließen sollen, dass Ärmere von Corona und Klimawandel besonders betroffen sind, kapieren wir auch nach längerem Grübeln nicht. Aber sei's drum.

Demokratur und Geisterspiele

Wir bleiben der Pandemie verbunden und schlagen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG "die Liste eines Jahres" auf. Der Autor und Dramaturg Thomas Oberender präsentiert jede Menge Wörter, darunter: "Nachverfolgung", "Herdenimmunität", "Demokratur", "Geisterspiele", die er für die "Historienbilder dieser Zeit" hält.
Es ist unseres Wissens das erste Mal, dass in einem deutschsprachigen Feuilleton auf der Länge einer kompletten Zeitungsspalte ausschließlich Substantive getrennt durch Kommata stehen. Und wer jedes Einzelne lesen will, sollte einen Geduldsfaden aus Stahltrossen haben. Erquicklicher ist Oberenders Begleittext:
"Unsere Sprache und das Virus funktionieren ganz ähnlich: Das Virus, das selbst kein Lebewesen ist, kann sich nur dank eines Wirts verbreiten. Dafür schleust es seine molekulare Information in dessen Zellen. Das Virus ist ein Code, der das genetische Skript seines Host reprogrammiert. Das geschieht seit Millionen Jahren und ist Teil unserer Symbiogenese.
Unsere gesprochene Sprache ist so gesehen ein kollektiver Antwortgesang auf das Eindringen des Virus in unsere Körper und von da in unsere sozialen Vitalsysteme. In dieser Sphäre der Worte, die unser Denken versorgen, gibt es also zahllose Spreader, die unseren Verstand mit neuen Begriffen infizieren, was Klarheit genauso fördert wie Täuschung."

Leben jenseits der Erwerbsarbeit

Vom Abstrakten zum Konkreten. Unter dem Titel "Mit vierzig in Rente" erklärt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, was es mit den Frugalisten auf sich hat.
Das sind Menschen, die möglichst früh finanziell unabhängig sein wollen und deshalb in jungen Jahren bei kärglichem Konsum Sparquoten von 50 Prozent und mehr anstreben, worüber die FAZ-Autorin Melanie Mühl entschieden die Stirn runzelt:
"Wer nicht geerbt hat und ohnehin ein entspanntes Dasein als Privatier führt, muss, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, die Zähne zusammenbeißen, seine Konsumimpulse kontrollieren, eisern sparen, Sonderangebote kennen, Geld in Aktien und Fonds anlegen und hoffen, dass einen die Kurse nicht im Stich lassen. Kurz gesagt: Man muss ein recht spaßbefreites Leben führen. Ohne ein überdurchschnittlich gutes Einkommen kann man den Frugalisten-Traum gleich begraben."
Die FAZ-Autorin ist der Meinung, "dass man seinen Träumen vom zukünftigen Glück nicht sein gegenwärtiges Leben opfern sollte".

Guter Rat ist teuer

Falls Sie das für einen guten Ratschlag halten: Achtung! Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG titelt hübsch paradox: "Wir raten, gute Ratschläge zu ignorieren". Die Ausführungen des Schweizer Schriftstellers Alain Claude Sulzer sind unterhaltsam. Der erste Satz jedoch ist irgendwie Murks. Er lautet: "'Guter Rat ist teuer', ruft der Verzweifelte."
Haben Sie je einen Verzweifelten rufen hören: "Guter Rat ist teuer!"? Wir nicht, nicht in diesem Jahrtausend. Und auch vorher höchstens in Büchern. Einen Schiffbrüchigen jedenfalls, der "Guter Rat ist teuer!" ruft, während ihm die letzte Planke wegschwimmt – Sulzer wählt genau dieses Bild –, können wir uns als kentererprobter Segler außerhalb von Satire schlicht nicht vorstellen.
Und das wars. Da es heute an einer schmissigen Überschrift fehlt, der wir das letzte Wort überlassen könnten, sagen wir nur noch, was wir in solchen Fällen immer sagen: Tschüss!
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