Aus den Feuilletons

Männlicher Sommerkörper für alle

Von Tobias Wenzel · 14.06.2017
Mit dem Badeanzug "Sexy" Chest" will ein US-amerikanisches Modelabel einen Sommertrend 2017 setzen. Die "taz" reagiert verwundert bis verstört auf dieses seltsame Stück Kleidung.
Angenommen, Sie, liebe Hörer, hätten Geburtstag und könnten sich eines der folgenden drei Geschenke aussuchen: ein Wahrheitslasso, einen Badeanzug, auf dem ein nackter Männerrumpf abgedruckt ist oder ein "Novellenknäuel der Verkolkung" (ein Was?) – wofür würden Sie sich entscheiden? Dass all das in dieser Feuilletonpresseschau zur Sprache kommt, hat etwas damit zu tun, dass in einigen Bundesländern Fronleichnam Feiertag ist, weshalb dort keine Zeitungen und Feuilletons erscheinen. Und dort, wo sie feiertagslos herauskommen, sind die Themen alles andere als zwingend, stattdessen bunt, sommerlich oder abseitig.
"Der Umstand ihrer Weiblichkeit wurde abgefeiert, die Größe ihrer Brüste verhandelt, die Frage, ob ihre rasierten Achselhöhlen zeitgemäß seien, erörtert. Männer regten sich auf, dass es Vorführungen nur für Frauen geben sollte",
schreibt Hannah Lühmann in der WELT über die Heldin des Films "Wonder Woman" und die vermeintliche Feminismusdebatte darüber in den USA.
"Kurz, es ging ab, und jetzt ist Kinostart in Deutschland. Aber ist der Film wirklich so toll?"
Die folgende Filmkritik klingt erst sachlich bis angetan. So beschreibt Lühmann eine Waffe der jeden Menschen in Gefahr rettenden Superheldin, nämlich das "Wahrheitslasso". Das sei eine goldene "Leuchtschnur, die sie um ihren Gegner werfen kann, der daraufhin innerlich zu glühen beginnt und die Wahrheit sagen muss". Praktisch also. Die Feuilletonistin gesteht, sich, Tränen in den Augen, anfangs mit Wonder Woman identifiziert zu haben. Dann allerdings das "Aber":
"Aber manchmal fragt man sich doch, ob es nicht eine Möglichkeit gegeben hätte, dem biologistischen Witz des weiblichmütterlich Guten, von jedem Einzelfall Ergriffenen eine psychologisch realistischere Grundlage zu geben. Warum kann denn diese Diana nicht eine grausame, eine sadistische, eine irgendwie ambivalente Seite haben?"

Mit "Sexy Chest" Facebook austricksen

Etwas Ambivalentes, mit Weiblichkeit und Männlichkeit Spielendes, hat durchaus das Foto von einem Badeanzug, das die TAGESZEITUNG abdruckt. Die Antwort auf die prüden Facebook-Richtlinien, denen zufolge Nacktfotos gelöscht werden. Zu sehen ist "ein Badeanzug im Bierbauch-Look, inklusive Nippel und Brustbehaarung", erläutert Kathrin Müller-Lancé eine Ausführung des "Sexy Chest", der neuen Kreation eines US-amerikanischen Modelabels. Die Firma wirbt mit Sätzen wie "Mein Sommerkörper ist fertig" und "Lass sie sagen ‚What the fuck‘". Sowohl Frauen als auch Männer können sich diesen männlichen Gummitorso überstülpen. Nur wozu? Na ja, um Facebook auszutricksen und dann eben doch dort Nacktfotos veröffentlichen zu dürfen.
"Auf einmal zahlen wir Geld für etwas, das es doch eigentlich auch umsonst geben müsste: einen nackten Körper und Freiheit", schreibt, verwundert bis verstört, Kathrin Müller-Lancé in der TAZ.

"Hellwache Prosa der Schläfrigkeit"

Verstörend Wunderbares ist in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zu lesen und zu betrachten. In Paul Jandls Rezension von Oswald Eggers Prosaband "Val di Non", der auch Grafiken des Autors enthält. Eine davon hat die Zeitung abgedruckt. Eine Schar freundlich dreinblickender amöbenartiger Tierchen, denkt man. Darunter steht aber: "Novellenknäuel der Verkolkung". Was das genau ist, bleibt unklar. Die seltsame wie schöne Grafik berührt aber. Ebenso wie der Auszug aus der – in den Worten des Rezensenten – "hellwachen Prosa der Schläfrigkeit":
"Da gab es Reif am Morgen, eisige Tobel, opalisierende Ösen und weglose Gründe, mit Sternen oder ähnlichem, die ein Sieb bildeten, wodurch die Kälte in die Welt strömt, welche sich mit Schatten füllt, lange bevor die Nacht aufbricht mit dem Glanz ihrer Esse und dem Gesicht von Strichgewittern und Spiessgras."
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