Aus den Feuilletons

Kätzchen und Pornografie

Ein etwa sechs Wochen altes Kätzchen liegt am 24.06.2015 auf einem Gartenstuhl in Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg).
Ein etwa sechs Wochen altes Kätzchen liegt am 24.06.2015 auf einem Gartenstuhl in Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg). © dpa / ZB / Patrick Pleul
Von Hans von Trotha · 17.08.2015
Das Internet scheint aus kuscheligen Katzen gemacht - und aus Pornografie, analysiert die "Welt". Die "SZ" nennt eine weitere Plage: Hasskommentare auf Facebook. Wie könne Mark Zuckerberg da noch glauben, das Internet bringe Versöhnung und Frieden?
Im TAGESSPIEGEL warnt ein Artikel unter der warnenden Überschrift "Achtung, echte Warnung":
"Wer in diesen Tagen Mails vom BSI überinfizierte PCs erhält, sollte sie ernst nehmen."
Sie sind, so die Pointe des Artikels, nämlich echt, was viele zwischen all dem Spam übersehen. Dazu werden wir künftig also das brauchen, was man heute Print nennt und was früher einfach die Zeitung war: Um gesagt zu bekommen, was im Netz echt ist und was nicht.
Die Katzen zum Beispiel. "Katzen würden Katzen klicken" behauptet Hannes Stein in der WELT. Anlässlich einer Ausstellung im Museum oft the Moving Image in New York fragt er:
"Wie kam es nur dazu, dass kuschelige Haustiere zum wichtigsten Inhalt des Internets wurden?", ja dass "Katzen nur so über das Internet herein (purzelten), bis es ganz unter Fotos und Videos von herzigen Pelztierchen begraben war. Ein Rocksong auf YouTube", zitiert Stein, "behauptet sogar, das Internet sei von oben bis unten aus Katzen gemacht."
– Wenn nicht aus Katzen, fragt man unwillkürlich, woraus eigentlich dann? Womit das Thema des Tages benannt ist: die Schnittstelle digital-analog.
Die einen schaffen's nicht rein, die anderen nicht wieder raus. Das Problem ist bekannt seit Don Quixote. Der hat ja nicht etwa den Fehler gemacht, zu viele Ritterromane zu lesen, sondern, damit aufzuhören. Fortan musste er sich mit dem ganzen Zeug im Kopf in der wirklichen Welt behaupten. Und wir jetzt mit den Katzen. Was schlimmer ist. Und nicht nur Katzen. Hannes Stein zitiert auch die Youtube-Song-Zeile:
"'God kills a kitten every time he sees you masturbate'. Eine subtile Anspielung", so Steins Interpretation, "auf die Tatsache, dass das Internet in Wahrheit keineswegs nur aus Kätzchen besteht; die andere Hälfte ist nämlich Pornografie."
Clash zwischen virtueller und realer Welt
Lalon Sander berichtet in der TAZ von einer Art Open Air Festival oder Reenactment zum clash of civilizations zwischen virtueller und realer Welt: dem alle vier Jahre stattfindenden "Chaos Communications Camp". Das liest sich zum Beispiel so:
"Auf der Al-Khwarizmi-Allee rennt ein Mann, ausgezogen bis auf die Unterhose, aus einem Zelt: 'Hej Leute, wollt ihr eine kostenlose Freundin?' Wie bitte? Ja, eine kostenlose Freundin … 'Dann kommt zum Speeddating jeden Mittag hier bei uns'."
Katzen kommen in dem TAZ-Bericht nicht vor. Aber Hähne:
"In kleineren Zelten", heißt es, "gibt es selbst organisierte Workshops: Wie programmiert man Datenbanken, die auch Geschlechter jenseits von Mann und Frau berücksichtigen? Wie wehrt man sich gegen Funkzellenabfragen der Polizei? Wie schlachtet man einen Hahn? … Hacken", erläutert Sander, "ist im Camp nicht ausschließlich technisch gemeint und bedeutet eher so etwas wie 'Selbermachen'."
Ansonsten: "Die Atmosphäre ist so spießig wie auf jedem anderen Zeltplatz ... . Mit kleinen Unterschieden: Mehr Leute trinken Mate als Bier, die Schlange vor dem Männerklo ist länger als bei den Frauen, und überall widmen Menschen ihre Aufmerksamkeit zumindest teilweise ihren Gadgets. Riesige Generatoren brummen ohne Unterbrechung, … und aus umgebauten Dixie-'Datenklos' kommen Netzwerkkabel."
Meinungsäußerung oder Volksverhetzung?
"Dixi-Datenklos". Das "Dixie-Datenklo" taugt vielleicht zum Symbol für die Begegnung des Digitalen mit dem Analogen, von der Simon Hurtz in der SÜDDEUTSCHEN eine brisante Dimension erörtert:
"Bilder von nackten Brustwarzen" berichtet er, "werden bei Facebook schnell gelöscht. Hasserfüllte Kommentare gegen Flüchtlinge bleiben im Netz."
"Ich verstehe nicht, warum man diesen Flüchtlingswahn nicht beendet, indem man alle abschießt", "Mit einem Loch im Hinterkopf wären manche Leute noch als Nistkasten zu gebrauchen" oder "Darum mein Appell: Saubere Straßen für Deutschland. Brummifahrer, haltet drauf".
Alles Originalzitate.
"Viele Facebook-Nutzer", so Hurtz, "wollen diese Hasskommentare nicht hinnehmen. Sie sehen darin keine freie Meinungsäußerung, sondern Volksverhetzung und einen offenen Aufruf zur Gewalt."
Dafür gibt es bei Facebook die Melde-Funktion, mit der man bewirken kann, dass fragwürdige Inhalte gelöscht werden. Für diese aber gab es die Antwort von Facebook: "Inhalte, die auf dich möglicherweise unangenehm oder störend wirken, verstoßen nicht unbedingt gegen unsere Gemeinschaftsstandards."
"Anfang des Jahres", zitiert Hurtz, "sagte Gründer Mark Zuckerberg: 'Das Internet und die sozialen Medien werden Versöhnung und Frieden bringen.'" Hurtz setzt die Frage nach: "Ob ihm schon jemand die deutschen Facebook-Kommentare übersetzt hat?"
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