Aus den Feuilletons

Irritation und Beifall

Der Literatur-Nobelpreis 2014 geht an den französischen Schriftsteller Patrick Modiano
Patrick Modiano © AFP / MARTIN BUREAU
Von Maximilian Steinbeis · 09.10.2014
Patrick Modiano? Viele Journalisten waren überrascht, wer da den Literaturnobelpreis bekam. Die "Welt" findet die Wahl "schön und seltsam". Und die "Berliner Zeitung" kann das Erscheinen des nächsten Modiano-Romans kaum erwarten.
Der Mann wird offenbar nicht gern fotografiert. Der Literaturnobelpreis ist die Nachricht des Tages, die Feuilletons zeigen uns den Preisträger im Großformat, und überall trägt Patrick Modiano eine Miene zur Schau, als hätte man ihn gerade um Geld angepumpt. Umso freudiger reagieren die Kulturredaktionen auf die Wahl des schwedischen Nobelpreiskomitees, wenngleich gemischt mit einer Prise Irritation.
"Schön und seltsam"
sei die Entscheidung aus Stockholm, findet Andreas Rosenfelder in der WELT – schön, weil sie
"einen endlich einmal wieder daran erinnert, warum man überhaupt Bücher liest, was ihr Zauber, ihr Geheimnis ist."
Und seltsam, weil Modianos Werk
"durch den Nobelpreis etwas Monumentales bekommt, das gar nicht zu Modiano passt. Er ist kein Kaliber, keine Stimme, keine Institution – und wie die Wörter noch alle heißen, mit denen man große Schriftsteller würdigt."
Zurückgezogen, aufs Schreiben konzentriert
Jürg Altwegg preist den Preisträger in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG als einen Schriftsteller,
"der in dieser verwirrenden, wendigen und windigen Epoche anders als seine geschwätzigeren Standesgenossen, die es ins Fernsehen und in die Medien treibt, dem klassischen Ideal eines "écrivain français" verpflichtet blieb."
Mit der gleichen Mischung aus Beglücktheit und Irritation ist die Nachricht auch in Modianos Heimatland Frankreich aufgenommen worden, berichtet Joseph Hanimann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:
"Dass dieser eher untypische Autor den Sprung zur Weltberühmtheit schaffte, ließ die Menschen in den Redaktionen, Verlagen und Regierungskabinetten erst einmal kurz schlucken."
In der BERLINER ZEITUNG wiederum nennt der Übersetzer Jörg Aufenanger die Quelle seiner Irritation beim Namen: "Zum Süchtig-Werden" sei Modianos Kunst.
"Habe ich den gerade neu erschienenen Roman beendet, beginnt das kaum zu ertragende Warten auf den nächsten."
Mit dem Nobelpreis habe er "das Gefühl, es wird mir etwas genommen, so als wollte ich ihn nur für mich bewahren."
Auszeichnung für die Wiener Philharmoniker
Dass in Stockholm tags zuvor noch ein anderer Millionenpreis verliehen worden war, erfahren wir aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
"Da das Nobel-Komitee keinen Preis für Musik vergibt, soll der Birgit-Nilsson-Preis diese Lücke schließen helfen",
berichtet Eleonore Büning, und der Preisträger
"hat zu aller Überraschung 138 Köpfe wie eine Hydra und eine lindwurmartig gewundene Lebensgeschichte, die zurückreicht bis ins Jahr 1842: Es sind die Wiener Philharmoniker."
Diese Lebensgeschichte einschließlich allerhand dunkler NS-Zeit-Flecken aufzuarbeiten und das Archiv der Philharmoniker auszubauen, ist das Preisgeld bestimmt, und die FAZ-Autorin hat schon eine Idee: "So eine Dokumentation" brauche "ausreichend Platz und Arbeitskräfte. Ob ein Neubau damit verbunden ist, können die Philharmoniker noch nicht sagen. Aber sie könnten sich jetzt einen leisten."
Ein Journalist will Antworten erzwingen
Zuletzt, um auf das Stichwort Irritation zurückzukommen, würden wir auch noch gern einen Preis verleihen, nämlich für das bizarrste Interview des Tages. Der ginge an die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Dort will Rudolf Neumaier von dem Münchner Professor für forensische Psychiatrie Norbert Nedopil unbedingt hören, dass die Djihadisten des Islamischen Staats "krank" sind, "nicht nur böse, sondern vollkommen verrückt".
Der tut ihm aber den Gefallen nicht, sondern erklärt geduldig ein ums andere Mal, dass es einen Unterschied gibt zwischen gefährlich und krank. Die Grenze zwischen Fanatismus und Wahn sei
"dadurch definiert, dass Wahn nicht kommuniziert werden kann. Auch nicht mit einer kleinen Gruppe von anderen. Während der Fanatismus ein Gemeinschaftsphänomen und kommunizierbar ist".
Aber sollte man nicht doch
"Killertouristen, die nach landläufiger Einschätzung von Sinnen sind",
in die Psychiatrie sperren, insistiert der SZ-Interviewer.
"Ich stamme aus einer Zeit", so die kühle Antwort des Professors, "
"in der wir die Folgen des Dritten Reiches und der politischen Psychiatrierung in der Sowjetunion aufzuarbeiten hatten, wo so etwas im Sinne des Staates häufig gemacht wurde. So etwas möchte ich eigentlich nicht noch einmal erleben. Da wären wir schnell in der Dunkelkammer des Rechts."
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