In Würde gealtert
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Die „FAZ“ meint, eine der wichtigsten Aufgaben eines „Tatort“-Teams sei, dass man mit ihm alt werden könne. Eine Kommissarin lobt wiederum die „TAZ“ besonders: Lena Odenthal alias Ulrike Folkerts. Sie habe viel für die Frauenfiguren im TV getan.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist in die Jahre gekommen und zum 70. Geburtstag „verraten prominente Leser, was sie an dieser oder einer anderen Zeitung haben“, ist auf der Medienseite zu lesen. Der 73-jährige Gründungsintendant des Humboldt-Forums, Neil MacGregor erklärt: „Ich lese täglich Zeitung, gerade weil es in der ungenauen und ärgerlichen Wendung der Internetseiten nicht ‚MEINE NACHRICHTEN‘ sind.“
Geburtstagsgrüße nur von älteren „FAZ“-Fans
Der 91-jährige Klaus von Dohnanyi haut in dieselbe Kerbe: „Im exponentiell beschleunigten, digitalen Zeitalter zwingt Schreiben zu mehr Sorgfalt, Drucken zu mehr Verantwortung.“ Und die 64-jährige Mary Beard, Professorin für Altertumswissenschaften aus Cambridge, bekennt immerhin: „Ich habe ein sehr zwiespältiges Verhältnis zu meiner Tageszeitung.“
Kein Gratulant ist jünger als 60. Dabei wäre es doch spannend gewesen, was beispielsweise Rezo, der blauhaarige Youtuber, oder wenigstens Philipp Amthor, der jüngste CDU-Abgeordnete, zur guten alten FAZ und der gedruckten Nachricht eingefallen wäre.
Das hohe Alter zieht sich wie ein grau gewordener roter Faden durch die Feuilletons. Im neuen SPIEGEL etwa ist Folgendes zu lesen: „Marius Müller-Westernhagen wagt ein Experiment: In einer Kirche in der Nähe von Woodstock hat er sein Erfolgsalbum ‚Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz‘ von 1978 noch einmal aufgenommen. Warum?“, fragt Arno Frank. Auch Westernhagen ist 70 Jahre alt und einige Fans behaupten, eine bessere Platte als das Pfefferminz-Album habe er nie hinbekommen.
Der alte Westernhagen im neuen Glanz
Doch Arno Frank stellt ganz ironiefrei zur Neuaufnahme fest: „In manchen Songs tritt eine Ironie und Tiefe zutage, die dem Original nicht anzuhören war. Bei ‚Dicke‘ wird das Wort ‚Blähungen‘ von einer perlenden Gitarre umspielt.“ Aber ist es dafür wirklich notwendig, die eigene Platte 40 Jahre später in den USA noch einmal einzuspielen? Der SPIEGEL-Kritiker gibt folgende Antwort:
„Vielleicht besteht das eigentliche Experiment darin, ein letztes Mal die kulturelle Bindung einer ganzen Generation an die USA zu beschwören. Ästhetisch sind die Aufnahmen am späten Johnny Cash geschult. Präsentieren will er sie seinem Publikum nur im intimen Ambiente kleiner Theater, wie der späte Springsteen. Das verwitternde Denkmal, es erstrahle in neuem Glanz.“
Durch „Tatort“-Ermittlungen das Fernsehen gewandelt
Diesen Glanz wollen wir ihm gerne lassen und blättern noch einmal in der FAZ zurück, wo Ursula Scheer schreibt: „Zu den wichtigsten Aufgaben eines ‚Tatort‘-Teams gehört bekanntlich, dass man mit ihm alt werden kann.“ Auf viele Kommissare trifft das fast schon schmerzhaft zu, die TAZ aber hebt eine Einzelkämpferin heraus, die schon sehr lange ermittelt. Anna Haeming schreibt über die von Ulrike Folkerts verkörperte Mörderjägerin aus Ludwigshafen:
„Die Geschichte der Lena Odenthal ist eine Geschichte übers deutsche Fernsehen. Und über seinen Wandel. Sie hat ihn mit vorangetrieben, dank ihrer unaufgeregten Präsenz am Sonntagabend. Diese Rolle hat in jenen 30 Jahren mehr für Frauenfiguren im deutschen TV getan als alle Intendanten zusammen.“
So klingt es also, wenn eine Figur in Würde altert, und so wie der folgende Halbsatz klingt ein vergiftetes Kompliment: „Darum gönnt man ihm den Preis ohne Einschränkung und von Herzen“, schreibt Roman Bucheli in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über seinen Schweizer Landsmann Lukas Bärfuss, der am Sonnabend den Büchnerpreis erhält.
Mobbing im Feuilleton
Was dann folgt sind Sätze wie diese: „Zwingend ist an dem Buch wenig, weder die Komposition noch manche der Erzählungen selber.“ Über den aktuellen Erzählband „Malinois“. Oder: „Der titelgebende Essay ist freilich eine Enttäuschung.“ Über Bärfuss‘ Essayband „Stil und Moral“ von 2015.
„Vielleicht kommt der Preis auch einfach zu früh. Dann ist er ein Hoffnungspreis – in Erwartung all dessen, was noch kommen wird“, schreibt Bucheli auch noch, und man konnte das alles schon anhand der Überschrift ahnen, die da lautet: „Was ist die Moral am Stil? Lukas Bärfuss weiss es.“ Auf dem Schulhof würde man diese Aussage wohl Mobbing nennen.