70 Jahre FAZ

Flaggschiff im Sturm

07:25 Minuten
Ein Junge blickt hinter eine Ausgabe der FAZ hervor.
70 Jahre FAZ: Sehr viel unhandlicher als ein Tablet – die gute, alte Zeitung in Papierform. © imago / Kristin Schnell
Von Ludger Fittkau · 30.10.2019
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Kurz nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der DDR erschien die erste Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": am 1. November 1949, vor 70 Jahren. Heute kämpft die Zeitung um ihre Zukunft in der digitalisierten Welt.
Werner D'Inka schaut aus dem Fenster eines Kongressgebäudes an der Messe in Frankfurt am Main. Ganz in der Nähe wird im sogenannten "Europaviertel" demnächst ein neues Hochhaus errichtet, in das Redaktion und Verlagsleitung in knapp zwei Jahren ziehen sollen. Werner D'Inka ist einer der vier Herausgeber der FAZ und sucht mit seinen Augen das Grundstück, auf dem der Bau errichtet werden soll: "Also – in der Europaallee, ich würde mal sagen: 500 Meter von hier."
Die alten Gebäude im Gallusviertel, in denen die FAZ seit Jahrzehnten ihr Domizil hatte, sind sanierungsbedürftig. Manche der rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verlags hatten befürchtet, sie müssten demnächst aus Kostengründen auf der grünen Wiese arbeiten - etwa am Rande der nahegelegenen Kleinstadt Eschborn. Nein, sagt Werner D'Inka:
"Es ist für die Redaktion aus praktischen Gründen wichtig, dass wir hier in der Stadt Frankfurt bleiben. Ich glaube, das ist aber auch aus symbolischen Gründen wichtig, dass eines Zeitung, die den Namen der Stadt Frankfurt im Titel trägt, auch wirklich in Frankfurt bleibt und nicht in den Vorort geht – bei allem Respekt vor Eschborn."
FAZ-Herausgeber Werner D'Inka wartet an diesem Morgen mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Verlag auf Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin ist Ehrengast angesichts eines großen Kongresses, den die FAZ anlässlich des 70. Jahrestages ihres Bestehens erstmals für ihre Leserinnen und Leser ausrichtet.

Als ein FAZ-Redakteur Merkel ins Schwitzen brachte

Angela Merkel kommt auch, weil die Zeitung in einer entscheidenden Phase ihrer politischen Laufbahn einen Artikel gedruckt hat, der aus ihrer Feder stammte. Sie verfasste ihn im November 1999, als die CDU-Spendenaffäre öffentlich wurde. Angela Merkel war damals Generalsekretärin der Christdemokraten. In ihrem Text für die FAZ forderte sie von ihrer Partei erstmals öffentlich eine Distanzierung von Helmut Kohl, der tief in die Spendenaffäre verwickelt war. Eine mutige Position, die ihr damals von vielen CDU-Mitgliedern auch als Nestbeschmutzung angekreidet wurde.
Jetzt verriet sie, dass es für sie damals gar nicht so leicht war, den Artikel in der FAZ zu platzieren: "Ich wollte eben diesen Namensbeitrag für den nächsten Tag platzieren und kannte mich auch nicht so aus. Man rief nicht in der Chefredaktion an, sondern man ging über den zuständigen Journalisten und das war in dem Falle der Herr Feldmeyer."

Karl Feldmeyer war von 1971 bis 2004 politischer Korrespondent der FAZ in Bonn und Berlin und Experte für die Politik der Union. "Und der Herr Feldmeyer war Mittagessen. Und das zog sich relativ lange hin und Herr Feldmeyer gehörte auch nicht zu denen, die dann sofort am Handy waren. Und SMS schrieb man auch nicht. Das heißt, es dauerte nach meiner Erinnerung bis 15 Uhr, bis der endlich wieder vom Mittagessen zurückkehrte, und fand, dass man jetzt noch einmal darüber nachdenken müsse, ob das jetzt wirklich ein relevanter Beitrag war, sodass ich also echt ins Schwitzen kam."
Doch die FAZ brachte den Beitrag, in dem die CDU-Generalsekretärin ihre Partei zur Emanzipation von ihrem "Übervater" Helmut Kohl aufforderte: "Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muss sich wie jemand in der Pubertät von zu Hause lösen, eigene Wege gehen."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)beim Kongress zum 70-jährigen Bestehen der FAZ. Im Gespräch mit mit Herausgeber Berthold Kohler.
Angela Merkel erzählt, wie die Mittagpause eines FAZ-Redakteurs ihren Karriere-Coup gefährdete – auf dem Kongress zum 70-jährigen Bestehen der Zeitung.© dpa / Thomas Frey

Seit 1949 eine Zeitung für ganz Deutschland

Diese Veröffentlichung war einer jener Momente, in denen die FAZ die "Zeitung für Deutschland" war. "Zeitung für Deutschland": dieser Untertitel war ihr Anspruch, seitdem sie am 1. November 1949 erstmals erschien. Peter Hoeres, Historiker an der Universität Würzburg, hat ein gerade erschienenes Buch über die Geschichte der FAZ verfasst:
"Gesamtdeutschland hieß es damals – das war dreigeteilt. Also die Gebiete, die dann unter polnischer und russischer Verwaltung waren, das war programmatisch. Eine Zeitung wollte man sein der Wiedervereinigung. Eine Zeitung, die sich aber auch an das ganze Deutschland richtete und es auch nach außen vertrat. Es gab ja noch kein Außenministerium. Man wollte eine Stimme Deutschlands in die Welt sein, wirklich, und deutsche Belange in die Welt auch verbreiten. Das war schon ein ganz hoher Anspruch, den Paul Sethe damals in seinem ersten Leitartikel formuliert hat."
Paul Sethe war vor 70 Jahren einer der ersten Herausgeber der FAZ, die von Beginn an von einem gleichberechtigten Herausgeber-Kollektiv ohne Chefredakteur verantwortet wurde. Damit knüpfte man an explizit an die Tradition der liberalen "Frankfurter Zeitung" an, die während der Zeit des Nationalsozialismus verboten worden war.
"In vielerlei Hinsicht hat man sich verstanden in der Tradition der 'Frankfurter Zeitung'. Vom Anspruch, Qualitätsanspruch, dem Anspruch an die Sprache. Ein ganz wichtiges Thema in der FAZ. Und in der Unabhängigkeit eben auch. Und sozusagen im Bespielen der Moderne, der kulturellen Moderne. Auch in der Kollegialverfassung. Die 'Frankfurter Allgemeine Zeitung' hat wie die FZ – wie die 'Frankfurter Zeitung' – auch keinen Chefredakteur. Und das ist wirklich ein Unikum in der Presselandschaft, macht auch einiges schwieriger. Man muss sich immer abstimmen, zum Konsens finden. Nicht de jure, aber faktisch hat man sich schon in diese Traditionslinie gestellt."

Eine Stiftung machte die FAZ unabhängig

Von Beginn am musste sich die FAZ massiven Versuchen der Einflussnahme von außen erwehren. Mittelständische Unternehmen, die die Zeitung zu Beginn mitfinanzierten, versuchten ebenso auf die Berichterstattung einzuwirken wie auch der Bundesverband der Deutschen Industrie. Da ging es um handfeste Wirtschaftsinteressen: Der BDI versuchte in den 50er-Jahren zu verhindern, dass Wirtschaftsminister Ludwig Erhard per Gesetz gegen die Bildung von Kartellen vorging.
Später versuchte VW eine Berichterstattung über einen Skandal eines Vorstandchefs zu verhindern. Man drohte, keine Anzeigen mehr für einen neuen Transporter zu schalten. Doch zu diesem Zeitpunkt war die FAZ durch eine neue Träger-Stiftung nicht mehr erpressbar, so Peter Hoeres:
"Da war es der FAZ aber schon gelungen, eine Unabhängigkeit durch die Stiftung zu erlangen. Und zu sagen: So what – dann kriegt Ihr eben keine Käufer für euren blöden Transporter. Aber das muss man sich leisten können, die ökonomische und inhaltliche Unabhängigkeit zu sichern. Was wirklich eine spannende Periode ist. Und in den 50er-Jahren, da war es nicht mit Samthandschuhen. Da war es brachial. Adenauer hat gesagt, im Vorstand der CDU: Ich sorge dafür, die FAZ kriegt keine Anzeigen mehr, wenn die weiterhin gegen meinen Westkurs Opposition betreiben. Das ging also wirklich zur Sache. Und das war schon eine Leistung der FAZ, sich diese Unabhängigkeit zu sichern auf Dauer."
So konnte sie zum konservativen Flaggschiff der Republik werden und trotzdem auch konservativen Regierungen die Stirn bieten. Doch ob es auch dem Sturm der Digitalisierung trotzen kann, ist 70 Jahre nach der Gründung der FAZ offen.
Ein Archivbild zeigt ein altes TV-Studio der Frankfurter Allgemeinen Zeitung um 1986.
Die FAZ versuchte sich 1986 auch im Bereich Fernsehnachrichten.© imago / Sven Simon
Wie viele andere Zeitungen hat der Verlag noch keinen schlüssigen Weg gefunden, in der digitalisierten Welt mit seriösem Journalismus Geld zu verdienen.Die Auflagenzahl der gedruckten Zeitung sinkt aber kontinuierlich. Auch die "Zeitung für Deutschland" muss eine Antwort auf diese Herausforderung finden, um ihren Platz als verlässliche Stimme in der demokratischen Öffentlichkeit halten zu können.
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