Aus den Feuilletons

Im Zeitalter der Menschengewalt

04:17 Minuten
Menschen und ein Kleinbus auf einer überfluteten Straße in Mazive, Süd-Mosambik. Im Vordergrund eine Frau mit einem Bündel auf dem Kopf.
Überflutungen in Mosambik: Die "SZ" schreibt über einen Kongress, auf dem Geologen Beweise für den Anbruch des Anthropozän gesammelt haben. © AFP/Emidio Josine
Von Arno Orzessek |
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Der Mensch tut dem Planeten Gewalt an und erntet Hitze und Verwüstung: Wir befinden uns im Anthropozän, lesen wir in der "Süddeutschen Zeitung", also in der Erdepoche des Menschen - und damit verbunden sind Umweltzerstörung und Klimakatastrophe.
Bestimmt weiß jeder von Ihnen, was das Wort "euphorisch" bedeutet. Aber jetzt mal ehrlich: Hätten Sie auch gewusst, was "dysphorisch" heißt, hätten wir nicht durch die Vorab-Erwähnung von "euphorisch" mit dem semantischen Zaunpfahl gewinkt? Wir selbst brauchten kurz, um zu kapieren, dass die Überschrift "Die dysphorische Republik" in der Tageszeitung DIE WELT keine Jubelarie auf Deutschland ankündigt. Tatsächlich beobachtet der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht ein "epochales Paradox in Moll und Piano":

Im Labyrinth der Dysphorie

"Wahrscheinlich hat es einerseits noch nie zuvor Gesellschaften gegeben, wo der Wohlfahrtsstaat derart großen Teilen der Bevölkerung ein beinahe sorgenfreies Leben und breite Möglichkeiten nachhaltiger Wunscherfüllung bietet; doch andererseits kommt keine Freude auf. Nicht etwa in einer schwarzen Depression hat sich das Land verfangen, sondern im Labyrinth einer Dysphorie, für die es keinen Grund zu geben scheint."
Uns macht Hans Ulrich Gumbrechts kluger Artikel über die deutsche Dysphorie tatsächlich so euphorisch, dass wir ihn gern ganz vorlesen würden, wäre es nicht unser Job, Sie mit einem gut gemischten Artikel-Mix zu unterhalten, wozu auch Artikel gehören, die eher schlechte Laune machen.

Beweise für den Anbruch des Anthropozän

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG zum Beispiel schreibt über "Menschengewalt". Und gemeint ist die Gewalt, die der Mensch dem Planeten Erde antut – Stichwort "Anthropozän". Der SZ-Autor Jörg Häntzschel berichtet über einen Berliner Kongress, auf dem Geologen Beweise für den Anbruch des "Anthropozän" gesammelt haben.
"Genüge es für diese Beweise nicht, fragten", so Häntzschel, "die wenigen anwesenden Laien, auf die Kurven für CO2 und Landzerstörung, Flugverkehr und Staudammbau, Artensterben und Extremwetter zu verweisen, die ab etwa 1950 fast alle jäh ansteigen? Nein, entgegnete der Geologe Colin Waters. Dass wir uns im Anthropozän befinden, sei unstrittig. Doch Erdzeitalter seien eben keine Epochen wie das Mittelalter oder die Postmoderne, deren Beginn und Ende jeder ein bisschen anders interpretieren könne."

Gibt es den Dualismus von Natur und Kultur noch?

Erdkunde-Fans sei gesagt: Wie der kniffelige Anthropozän-Beweis funktioniert, das erklärt der SZ-Autor Jörg Häntzschel durchaus. Während Feuilleton-Fans froh sein dürften, dass er schließlich ins vertraut Philosophisch-Kulturelle wechselt:
"Denken wir an die drohende Klimakatastrophe, die vom Anthropozän natürlich nicht zu trennen ist, stellen wir uns überschwemmte Küstenzonen, Dürren, Kriege und Völkerwanderungen vor. Doch was ist, wenn der Dualismus von Natur und Kultur, auf den unser ganzes Weltbild aufbaut, nicht länger existiert? Weder die Naturwissenschaftler, denen nun ihre vom Menschen unberührte Natur abhanden kommt, noch die Denker oder Künstler waren je in der Situation, in der wir uns jetzt befinden."

Grünes Erfolgsrezept: Beharrlichkeit und Kleinteiligkeit

Nun aber mit der TAGESZEITUNG "Hinaus ins Urbane". Dirk Knipphals macht sich anlässlich des Niedergangs der SPD und dem Hoch der Grünen nach der Europawahl "ein paar Überlegungen zu SUVs, Fahrrädern und Innenstädten":
"Was immer an den Innenstädten attraktiv ist – Radwege, Verkehrsregulierung, sozialer Mix, offene Räume – ist vielerorts lange Zeit gerade gegen die Betonfraktionen der SPD und ihre großen Lösungen aus Stadtautobahnen und homogenen Wohnkomplexen erkämpft worden. Die Grünen mit ihrem Setzen auf Kleinteiligkeit und lebensweltlichen Konzepten passen dagegen gut zum neuen Bedürfnis nach Urbanität. Mit Postmaterialismus hat dieses Bedürfnis nicht unbedingt zu tun, mit Antikapitalismus schon gar nicht, dafür viel mit Wünschen nach Lebensqualität."

Merkels Harvard-Rede

Die Lebensqualität von Feuilleton-Lesern lässt sich indessen auch durch boshafte Verrisse steigern. Und wie Edo Reents in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG unter der Überschrift "Festgemauert in den Phrasen" die Rede von Kanzlerin Merkel an der Universität Harvard der Lächerlichkeit preis gibt – das erhöht fürwahr die Lebensqualität!
Reents Schlusssatz lautet: "Nichts wie weg hier, am Ende merken die noch, dass man Deutscher ist." Falls Sie nicht wissen, wohin an diesem Wochenende – gehen Sie doch einfach, mit einem TAZ-Titel, "immer der Nase nach".
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