Mensch und Natur im Anthropozän

"Wir können uns nicht retten, wir sind alle sterblich"

Andreas Weber im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 26.07.2018
Der Mensch betrachte die Natur gern als "Bühne", als "Ding" oder als "System", sagt der Philosoph Andreas Weber. Dabei werde er selbst von der "Kraft des Lebendigen" gesteuert und geformt. Natur und Mensch stünden in einem seelischen Zusammenhang.
Stephan Karkowsky: Die ganze Woche laden wir hier im "Studio 9" am Morgen ein zum Dialog über das Anthropozän, das geologische Zeitalter des Menschen, der schon jetzt eine giftige Sedimentschicht über den Planeten gelegt hat und damit nicht nur der Natur, sondern vor allem auch sich selbst schadet. Obwohl ich vermute, dass mein nächster Gesprächsgast diese Unterscheidung gar nicht macht zwischen Kultur, Mensch und Natur. Sein jüngstes Sachbuch trägt den Titel "Enlivenment. Eine Kultur des Lebens. Versuch einer Poetik für das Anthropozän". Ich begrüße den Journalisten und Öko-Philosophen Andreas Weber. Guten Morgen!
Andreas Weber: Guten Morgen!
Karkowsky: Herr Weber, habe ich recht, dass Sie gar keine Grenze mehr ziehen zwischen Mensch und Natur?
Weber: Ja, ganz genau. Das ist sogar für mich ein ganz wichtiger Punkt, zu sagen, die Opposition zwischen dem Menschen hier und der Natur ist eigentlich Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Das mag einige erschrecken, und ich habe auch nicht immer so gedacht, sagen wir mal so, und mir war die Möglichkeit am Anfang auch ein bisschen unheimlich. Und ich glaube, dass das auch aus einer – sozusagen, jemandem, der aus einem Hintergrund des Naturschutzes, der Naturbewahrung kommt, wie ich eigentlich auch, da muss man erst mal lange überlegen, will man das eigentlich so radikal formulieren. Aber es spricht viel dafür, so zu denken, dass der Mensch irgendwie mit der Natur als einem Ding operiert. Ein großer Vorteil davon ist, dass wir uns selbst wieder als sozusagen eine Kraft des Lebendigen verstehen können, so wie alles Lebendige um uns herum. Ich benutze lieber "das Lebendige", und das schließt den Menschen dann ein.

Die Natur, die uns rettet – die Natur, die wir ausbeuten

Karkowsky: Aber wie passt denn dann Ihre Philosophie zum Konzept des Anthropozän, also des Menschen, der seine Erde in geologischen Maßstäben verändert, vermutlich zerstört und der Natur hier als Feind gegenübersteht? Wie passt das zu Ihrer Philosophie?
Weber: Das ist natürlich so, wenn ich das so auflöse, dann heißt das natürlich nicht, dass ich sagen will, der Mensch macht sozusagen nur neutrale Dinge, alles ist okay, sondern es ist klar, dass wir in der Welt des Lebendigen, die in der Lage ist, sich immer wieder neu fruchtbar, kreativ, divers hervorzubringen, dass wir da genau diese Fähigkeiten im Augenblick beeinträchtigen und auch zerstören. Das heißt also, es ist klar, dass das, was im Augenblick passiert – wir sitzen ja jetzt gerade wieder in einer Hitzewelle, die, inzwischen gibt es ja auch jeder zu, auch was mit der Klimaveränderung zu tun hat.
Also, dass etwas passiert, das ist völlig klar. Aber dass etwas passiert, hat auch damit zu tun, dass wir die Natur immer als etwas, als ein Szenario, einen Außenraum, eine Bühne betrachten und dann je nach Stimmungslage ist es entweder das Heile, was uns rettet, oder aber es ist das, was man ausbeuten kann oder verbessern muss et cetera. Und es ist eben nicht das, was auch in uns selbst drinsteckt, und insofern verliert man die Verbindung. Aber wenn man sehen würde, dass das, was außen um uns herum uns trägt, auch das ist, was unsere eigene Art zu denken, zu leben, Verbindungen zu schaffen, zu lieben vielleicht auch, steuert oder formt, dann hätte man plötzlich eine Möglichkeit, uns da draußen wiederzufinden, die uns vielleicht ganz viel mehr Handlungsfähigkeiten geben würde.

"Der Tod ist natürlich ein zentraler Bestandteil der Natur"

Karkowsky: Ich kann Ihnen ja mal folgen in diese Idee, dass Natur und Mensch eine Einheit sind, und das könnte man ja auch argumentativ gegen die Natur wenden, nach dem Motto, wir sind nicht mehr und nicht besser als der Rest der Natur, ergo kann die Natur sich auch selbst helfen, und vielleicht tut sie das ja gerade mit Waldbränden, Tsunamis und Dürren, und ist gerade dabei, den Menschen vom Planeten runterzuwerfen. Niemand macht ihr dafür einen Vorwurf, oder?
Weber: Wenn wir jetzt dieses Bild, das ich eben gern benutzen würde, weiterverfolgen, dann kann man natürlich sagen, dass Ökosysteme, wenn sie unter der Dominanz einer einzigen Art sagen wir sich stark wandeln, dass sie auch ganz leicht dazu wieder führen, dass diese eine Art dann irgendwie wieder verschwindet. Es gibt ja oft in der Populationsökologie auch diese Kurven, die zeigen, eine Art kann sehr erfolgreich sein, und dann bricht ihr Bestand zusammen wieder. Also insofern kann man auch tatsächlich aus diesem Bild heraus, was wir machen, total erklären und sagen, so was passiert eben, aber das geht dann meistens nicht gut aus für die eine Art.
Das will ich aber gar nicht so machen, sondern was mir wichtig ist vor allem, ist zu sagen, wenn wir Natur eben nicht länger verstehen als bloß ein Ding oder ein System oder so was, sondern wenn wir es verstehen als einen seelischen Zusammenhang, einen Beziehungszusammenhang, einen Raum der Gegenseitigkeit, dann hat das auf einmal viel mehr Ähnlichkeit mit unserem eigenen Seelenleben, und dann können wir vielleicht sehen, dass wir das für unser Seelenleben brauchen. Dass sozusagen das, was wir irgendwie als unsere ureigene Domäne des Menschlichen verstehen, das Emotionale, das Ausdrucksvolle, das Verbindungen Schaffende, das ist eigentlich auch die Welt der anderen Lebewesen, und wir brauchen sie deswegen. Dann haben wir plötzlich eine Wiederverbindung, und die ist mir sehr wichtig.
Karkowsky: Sie kennen vermutlich den Witz, in dem sich zwei Planeten treffen, und der eine sagt, ich bin ganz furchtbar krank. – Ja, was hast du denn, fragt der andere. – Ich habe mir Menschen eingefangen. – Ach, sagt der andere, mach dir keine Sorgen, das geht wieder weg.
Weber: Ja, genau. Mir lag er vorhin schon auf den Lippen. Ich bin froh, dass ich nicht drauf angesprochen wurde …

"Wir müssen uns eben alle wieder in andere Wesen verwandeln"

Karkowsky: Für Sie ist ja die Poetik ganz wichtig für die Debatte um das Anthropozän, auch im neuen Buch. Läuft die Poetik nicht immer Gefahr, mit der Romantik verwechselt zu werden? Mir fällt da der Film des dänischen Dokumentarfilmers Michael Madsen ein, "Into Eternity". Da zeigt er in wunderschönen Bildern den Bau eines Atommüllendlagers in Finnland. Und so ein Lager muss ja theoretisch bis in alle Ewigkeit funktionieren und vom Menschen verstanden werden. Wie groß ist die Gefahr, dass die Poetik eine solche Debatte vielleicht auch verniedlicht?
Weber: Die Gefahr ist groß, wenn ich dieses Wort benutze. Die Gefahr ist groß, dass genau das passiert, was Sie so skizzieren, und was eben wieder hieße, die Natur als etwas außen zu betrachten, das aber schön und nett ist. Das ist ja in meinen Augen der Fehler des romantischen Denkens, zu sagen, es gibt so diesen Bereich des Emotionalen und irgendwie des Heimeligen, das finden wir in der Natur wieder, und dahin können wir uns retten vor dem Menschlichen, und deswegen brauchen wir das. Das liegt ja auch viel dem ökologischen Bewahrungsdenken zugrunde. Das halte ich für verkehrt, damit will ich aber nicht sagen, und deswegen ist das alles ein seelenloser Raum der Objekte, sondern ich will sagen, in der Natur haben wir wie in der menschlichen Seele einen Raum der kreativen Herstellung von Bedeutungen, von Erfahrungen, von Betroffenheit, also irgendwie ein Phänomen des Poetischen, aber das ist nicht unbedingt immer nur gut. Der Tod ist natürlich ein zentraler Bestandteil der Natur, des Lebens, der Welt, auch uns selbst. Und diese Trennung in dieses, sozusagen das menschliche Bedürfnis, sich auf irgendwie eine Seite zu retten. Und das andere, was damit auf eine Art, die uns nicht so richtig gefällt, irgendwie interagiert, die macht uns kaputt.
Und wenn ich sage, eine Poetik, dann heißt das eigentlich nur, dass ich darum ersuche, dass wir wieder sehen, dass die ganze Welt ein schöpferischer, ausdrucksvoller, vielleicht sehnsuchtsvoller Prozess ist, der was mit Durchdringung zu tun hat und Gegenseitigkeit und Vermischung und auch Verwandlung und auch Sterben und sich Verlieren, und dass wir das wieder aufnehmen müssten in eine Form von Kultur, die nicht mehr versucht, das wir Menschen uns irgendwie retten. Denn wir können uns nicht retten. Wir sind alle sterblich, und wir müssen uns eben alle wieder in andere Wesen verwandeln, in Materie, das passiert ja, wenn wir sterben, da kommen wir nicht umhin. Das ist aber auch nicht schlimm, sondern das ist eben der Motor, der das Werden und den schöpferischen Ausdruck speist-
Karkowsky: Das sagt der Journalist und Öko-Philosoph Andreas Weber als Teil drei unserer Debatte über das geologische Zeitalter des Menschen. Herr Weber, Ihnen herzlichen Dank!
Weber: Danke an Sie!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Debatte über ein neues Erdzeitalter: Leben im Anthropozän – eine Sommerreihe im Deutschlandfunk Kultur:

Der Mensch hat so stark in die ihn umgebende Natur eingegriffen, dass viele Wissenschaftler heute von einem neuen Erdzeitalter sprechen, dem Anthropozän. "Was heute passiert", so Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber, "ähnelt dem Asteroideneinschlag an der Kreide-Paläogen-Grenze". Er spricht von einem "kollektiven Selbstmordversuch" angesichts des Tempos, mit dem der Planet übervölkert und übernutzt werde.

Der Mensch ist im Anthropozän mit Phänomenen konfrontiert, die ihm völlig neu sind. Daraus ergeben sich grundlegende Fragen: Können wir mit unserem im Holozän erworbenen intellektuellen Fähigkeiten das Anthropozän verstehen? Und können wir auf die damit verbundenen Herausforderungen auch wirksam reagieren?

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