Aus den Feuilletons

Im Herz der Finsternis

03:57 Minuten
Haftbefehl rappt in Mannheim auf dem CARStival.
Der Rapper Haftbefehl will nicht, dass seine Frau seine Musik zuhause spielt. © IMAGO / BOBO
Von Gregor Sander · 27.04.2021
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Der "Tagesspiegel" lobt das neue Album des Rappers Haftbefehl. Zwar seien die Texte "teilweise abgrundtief gewaltvoll und frauenverachtend". Doch zugleich gebe sich der Musiker verletzlich und spreche offen über seine Depressionen.
Halbnackte Männer beschäftigen Peter Richter in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, wobei er sich auf mächtige Männer festgelegt hat. Etwa den Bundespräsidenten: "Frank-Walter Steinmeier, und ein Bild, das von ihm kürzlich durch die Medien ging, zeigte ihn im T-Shirt mit einer Spritze im Oberarm. Keine vernehmbare Empörung bisher deswegen", resümiert der SZ-Autor und fragt sich und seine Leserschaft in der Unterschrift des Bildes vom geimpften Präsidenten: "Ein Bild der Schwäche? Oder der Stärke?"
Leider beantwortet Richter diese Frage gar nicht, sondern führt uns durch eine unterhaltsame Geschichte der männlichen Politikerentblößung im In- und Ausland, deren Höhepunkt er vor einer Dekade entdeckte: "Es war ja nicht nur Russlands Präsident Putin, der sich vor rund zehn Jahren dauernd mit freiem Oberkörper zeigte, beim Fischen, Jagen und zu Pferde. Prompt zogen auch Sarkozy für Frankreich und Obama für die Vereinigten Staaten blank und zeigten Muskeln, als dürfe von ihnen erwartet werden, mit der Kavallerie in die Schlacht zu reiten."
Von der schon damals und heute noch immer regierenden Bundeskanzlerin fehlen derlei Bilder, ob es nun um das Fischen oder das Impfen ging, was Richter so einordnet: "Wer die Berge Südtirols oder die Härte der Holzbänke im Festspielhaus von Bayreuth kennt, wird Merkel allerdings nicht vorwerfen können, körperlichen Einsatz per se zu scheuen. Sie stellt ihn nur nicht ins Schaufenster."

Gewaltvoll, frauenverachtend - und verletzlich

Für den Berliner TAGESSPIEGEL hat Aida Baghernejad das neue Album des Offenbacher Rappers Haftbefehl gehört und erläutert ihr Hörerlebnis: "Haftbefehl zu hören, bedeutet auch die Ambivalenz zu umarmen. Sind die Texte teilweise abgrundtief gewaltvoll und frauenverachtend? Ja, selbst er gibt es zu – und berichtet, dass er nicht möchte, dass seine Frau seine Musik zuhause spielt. Gleichzeitig gibt es nur wenige andere Künstlerinnen und Künstler sowie noch weniger Rapperinnen und Rapper, die sich so verletzlich machen, so offen über Depressionen sprechen wie Haftbefehl."
Das neue Album trägt den Titel "Das schwarze Album" und bezieht sich auf das erst im letzten Jahr erschienene und hochgelobte "Weiße Album". Es sei weniger künstlerisch, wird der Rapper zitiert, aber die TAGESSPIEGEL-Kritikerin ist trotzdem begeistert: "Haftbefehl ist wieder genau da, wo er herkommt, wo seine Kindheitsfreunde immer noch unterwegs sind. Seine Texte sind roher, direkter, unmittelbarer als vielleicht je zuvor, sie werfen sich den harten Beats seines langjährigen Kollaborators Bazzazian entgegen, ringen sie nieder, hinab ins Herz der Finsternis. Reime, die eine Welt beschreiben, hässlich wie sie nur eine Nacht im Bahnhofsviertel sein kann."

Traditionelle Machtkämpfe in Verlagen

Wie hässlich die Welt in der Chefredaktion des Nachrichtenmagazins der SPIEGEL ist, fragt sich Steffen Grimmberg in der TAZ: "Der Spiegel, immer noch das alte, testosterongesteuerte Flaggschiff wie zu Augstein-Zeiten? Ganz so leicht ist es nicht", gibt er zu bedenken und kommentiert dann den Weggang von Barbara Hans, die als Onlineexpertin bisher Teil der Chefredaktion war: "Dass diesen Abschied 'Steffen Klusmann als Vorsitzender der Chefredaktion und Barbara Hans gemeinsam und im besten gegenseitigen Einvernehmen entschieden' hätten, ist natürlich die handelsübliche Salonlüge für derlei Mitteilungen. Aber auch wenn es vielleicht weniger um direkte Männlichkeitsallüren ging, war es ein leider ganz traditioneller Machtkampf. Und ein klares Zeichen dafür, wer in Sachen Familie und Führungspositionen immer noch draufzahlt."
In der SZ lässt Laura Hertreiter die nun Nicht-mehr-Chefredakteurin ihren Abschied selbst kommentieren: "Im Branchenmagazin Journalist hatte Barbara Hans vier Monate zuvor selbst recht treffend zusammengefasst, 'das Personalroulette vieler Verlage' sei Ausdruck einer 'teils erratischen Suche nach Lösungen, die Personen zu Problemen erklärt und in der Folge auf der Stelle tritt'".
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