Aus den Feuilletons

"Herr Putin ist nicht Erdogan"

Der Schauspieler Claude Oliver Rudolph
Der Schauspieler Claude Oliver Rudolph © picture alliance / dpa / Henning Kaiser
Von Hans von Trotha · 13.04.2016
Der Schauspieler Claude Oliver Rudolph talkt zukünftig für den Kreml nahen TV-Sender "RT Deutsch". Im "Tagesspiegel" versicherte Rudolph, er könne dort völlig frei entscheiden, und pries die Vorzüge des russischen Präsidenten gegenüber seinem türkischen Amtskollegen.
Die wichtigsten Neuigkeiten vornweg: Der türkische Staatspräsident hat kleine Hoden, und Putin ist nicht Erdogan. Die Meldungen müssen übrigens nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben. Beides sind Feuilleton-Überschriften vom Tage. Über beide lohnt es sich nachzudenken. Schließlich ist einer der genannten Präsidenten derzeit einer der wichtigsten Partner Deutschlands. Für den anderen wird der Tatort- und James-Bond-Schauspieler Claude-Oliver Rudolph künftig beim russischen TV-Sender RT Deutsch so etwas wie Kultur-Propaganda machen. Obwohl:
"Propaganda stehe in seinem Vertrag nicht drin, sagt er dem TAGESSPIEGEL. Er könne völlig frei entscheiden, welche Gäste er einlade oder welche Bücher er bespreche. … Für Putin", heißt es, "hegt der Schauspieler mit dem charakteristischen vernarbten Gesicht sogar Sympathien." Zitat: "'Herr Putin ist nicht Erdogan.' Anders als der türkische Staatspräsident lasse Putin den 'Islamischen Staat' nicht ins Land, im Gegenteil: 'Der kämpft gegen den Islam.' Und den derzeit wegen einer Erdogan-Satire unter Druck stehenden 'Neo Magazin Royale'-Moderator Jan Böhmermann verfolge der russische Präsident auch nicht."

Fragen wie Geschmack und Grobheit von Kunstfreiheit geschützt

Da haben wir's. Der Böhmermann hat eben doch alles falsch gemacht. Immerhin, das mit den Hoden geht also in Ordnung. Das weiß die Medienrechtsanwältin Anja Brauneck. "Zu behaupten, der türkische Präsident habe kleine Hoden, ist von der Kunstfreiheit geschützt", erklärt sie, und: "Fragen wie Geschmack, Grobheit oder schmutzige Sprache spielen für den Kunstcharakter keine Rolle."
Auf die Frage, ob sich Erdogan nicht " besonders scharfe Kritiksatiren gefallen lassen" müsse, weil er "nicht nur einem zunehmend autokratischen Staat vorsteht, sondern der Urheber vieler undemokratischer Zustände ist", antwortet Brauneck:
"Richtig. Wer den Anlass für Missstände schafft, muss entsprechend mehr einstecken. Im Rahmen der Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz ist dies ein wichtiger Faktor."

Böhmermanns "Schmähgedicht ist rhetorischer Sondermüll"

Peter Kümmel rückt in der ZEIT zurecht, worum es eigentlich geht. Nicht wirklich um Böhmermann. "Sein Schmähgedicht ist", so Kümmel, "rhetorischer Sondermüll und wird auch so transportiert." Aber: "Kürzlich hat Angela Merkel, die mächtigste Frau der Welt, etwas Unerhörtes getan: Sie hat einen Mann gerügt, der auf einem wesentlich tieferen Autoritätsniveau spielt … Wieso", fragt Kümmel, "kommentiert Merkel, die Königin, den Böhmermann, einen Hofnarren?" Das, so Kümmel, brachte "die sogenannten diplomatischen Drähte zum Glühen. Man erkannte allerdings schnell, dass diese Drähte eigentlich die Nerven von recht wenigen Personen sind."
In derselben ZEIT sagt der französische Schriftsteller Pascal Bruckner auf die Frage, warum die Deutschen mit ihrer Flüchtlingspolitik unverstanden bleiben:
"Weil die Europäer Angst haben, dass mit den Flüchtlingen die Soldaten des 'Islamischen Staats' schon bei uns sind. Dass wir uns einer zunehmend undemokratischen Türkei andienen. Erdoğan ist ein gefährlicher Mann. Er verstößt gegen sämtliche Rechte der Kurden, der Armenier, der Zyprioten – und der Journalisten in seinem Land. Er hat beim Aufbau des IS geholfen. Dass der neue Sultan und Merkel, Zynismus, gepaart mit Großzügigkeit, heute die europäische Flüchtlingspolitik diktieren, ist eine große Peinlichkeit."

Debatte ist Folge der aktuellen Flüchtlingspolitik der Kanzlerin

Peter Kümmel weist noch auf einen kleinen Dialog zwischen Böhmermann und seinem Kompagnon Ralf Kabelka in der fraglichen Sendung hin: "Schmähungen, persönliche Beleidigungen seien in Deutschland nicht erlaubt, sagte da Böhmermann. … Das kann bestraft werden. Und dann können auch Sachen gelöscht werden. Aber erst hinterher. Nicht vorher. ... Böhmermann und Kabelka", kommentiert Kümmel, "erhellen hier einen Unterschied ums Ganze: In einem Land, in dem Pressefreiheit und Kunstfreiheit herrschen, wird ein vergifteter Witz, ein subversiver Gedanke eventuell hinterher, nach Ausstrahlung gelöscht … . In einer Autokratie bleibt der unflätige Witz ungesagt. Er wird schon vorher, im Kopf des Witzemachers gelöscht."
Um nicht weniger geht es. Deswegen ist selten so viel von Frau Merkel im Feuilleton die Rede gewesen wie in diesen Tagen. Und das zu Recht. Unversehens scheinen Grundlagen unserer Kultur zur Debatte zu stehen. Als Folge der aktuellem Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, wohlgemerkt.
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