Satire

Sie wollen ja nur spielen

Jan Böhmermann beim Verlesen seines umstrittenen Gedichts
Jan Böhmermann beim Verlesen seines umstrittenen Gedichts © Screenshot ZDF "Neo Magazin Royale"
Von Reinhard Mohr · 14.04.2016
Noch warten wir auf die Schmähverse von Oliver Pocher, Atze Schröder und Mario Barth. Wer hat noch nicht, wer will nochmal – den leicht erregbaren türkischen Despoten beleidigen? Merkwürdig nur, dass dabei der Witz auf der Strecke bleibt. Und auch die Grenze.
Am Ende hat sich auch noch Didi Hallervorden eingeschaltet. Damit sind wir endgültig Zeugen einer inoffiziellen Erdogan-Bashing-Challenge, des Wettbewerbs um die gemeinste Grenzverletzung, die sich Satire nennen darf.
Noch warten wir allerdings auf die Schmähverse von Oliver Pocher, Atze Schröder und Mario Barth. Wer hat noch nicht, wer will nochmal – den leicht erregbaren türkischen Despoten beleidigen und ihm zeigen, was eine Harke ist. Oft sind es dieselben, die bei Wladimir Putin und den chinesischen Machthabern ganz zahm werden, bei Fidel Castro gar ins Schwärmen geraten. Egal.
Der Humorstandort Deutschland beweist seine unerschütterliche Stärke. Wär‘ doch gelacht! Merkwürdig nur, dass dabei der Witz auf der Strecke bleibt. Und auch die Grenze.

Shitstorm ist die Höchststrafe für deutschen Humor

Denn worin bestünde, bitteschön, das echte Risiko, im braven ZDF etwas zu sagen, das die Mächtigen dieser Welt in Rage bringen könnte wie einst die Könige, die tatsächlich Nägel mit Köpfen machten und sie auf den Zinnen ihrer Burgen aufspießen ließen?
Die Höchststrafe ist heutzutage ein Shitstorm auf Facebook. Und wenn es ganz schlimm kommt, ein paar tausend Euro Schmähbuße, die sogar die "Crowd" bezahlt. Den außenpolitischen Rest muss nun Angela Merkel abräumen. Ihr Problem. Hierzulande ist boshafte Kritik, anders als in der Türkei, ansonsten kostenlos.
Das war mal ein bisschen anders. Die Satirezeitschrift "Pardon" wurde in den sechziger und siebziger Jahren allein von Franz-Josef Strauss sechzehn Mal verklagt.

Satire hat nichts mit Häme ohne Argument zu tun

Brisanter Spott ist seither zum Gratismut verkommen, der Moralismus mit Pseudo-Ironie mischt, die unangreifbar machen soll. Ein belastungsfähiger politischer Standpunkt, der argumentativ entwickelt wäre, also auch Fragen, Zweifel und Selbstkritik zulassen könnte, behindert nur das Entertainment.
Das hat nichts mit Satire zu tun, die literarischen Ursprungs ist. Mit opportunistischer Häme und spießigen Ressentiments hatten weder die alten Griechen noch Voltaire etwas im Sinn, auch nicht Heinrich Heine, Georg Christoph Lichtenberg oder Karl Kraus, Kurt Tucholsky oder Robert Gernhardt. Politische Satire war einmal.
Vor zwei Jahren reichte es noch, "FDP" zu sagen, und der Saal tobte. Heute mögen es "Panama", "Frauke Petry" oder "Erdogan" sein, Erkennungssignale eines Reiz-Reaktionsschemas für den fortgeschrittenen Schenkelklopfer. Ein Publikum, ein Lachanfall. Frenetisches Klatschen komplettiert die Gesinnungsgemeinschaft, ob bei "extra drei", in der "heute Show" oder in der "Anstalt".
Wonnevoll schwimmt man im Fahrwasser einer diffusen Weltanschauung, in der raffgierige Stromkonzerne, VW und die Pharmaindustrie zu "Deutschlands besten Schweinebranchen" gezählt werden und der deutsche Justizapparat auf dem rechten Auge blind ist. Was sonst.

Empörungsdienstleister bringen keine Rebellen hervor

Polizisten und Verfassungsschützern wird im ZDF geraten, mal kurz die Youporn-Seite zu verlassen, die "Wichsgriffel aus der Hose zu nehmen" und endlich gegen Nazis zu ermitteln. Wenn es um islamistische Terroristen geht, werden derartige Gags allerdings lieber vermieden. Man will ja nicht unnötig provozieren im Wellnessbad der moralischen Selbstgewissheit.
Das seien nur noch Empörungsdienstleister, meint der Kabarettist Andreas Rebers. Zu Recht hält er sie für Systemkritiker, die im Mainstream unterwegs sind – beileibe keine Rebellen, die wirklich etwas riskieren und sich einer Übermacht entgegenstellen würden.
Sagen wir es so: Unsere tapferen Comedy-Helden meinen es ja gar nicht so ernst. Sie wollen doch nur spielen – im geschützten Freiraum der Kleinkunst. Umso bedrohlicher für sie nun der Einbruch der Wirklichkeit in die Spaß-Arena: Polizeischutz für den abgetauchten Hofnarren.
Dass der harmlose Fernseh-Ulk zur echten Staatsaffäre wird, ist die wahre und einzige, inzwischen auch ziemlich böse Ironie der Geschichte.
Reinhard Mohr, geboren 1955, ist freier Journalist. Zuvor schrieb er für "Spiegel Online" und war langjähriger Kulturredakteur des "Spiegel". Weitere journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Buchveröffentlichungen u. a.: "Bin ich jetzt reaktionär? Bekenntnisse eines Altlinken", "Das Deutschlandgefühl", "Generation Z", "Der diskrete Charme der Rebellion. Ein Leben mit den 68ern" und "Meide deinen Nächsten. Beobachtungen eines Stadtneurotikers".
Reinhard Mohr
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