Aus den Feuilletons

"Happy Birthday, alte Schachtel!"

04:20 Minuten
In einem Zeitungsständer sind mehrere Zeitungen der "Frankfuter Allgemeinen" zu sehen.
70 Jahre und immer noch auf Papier: die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat am 1. November Geburtstag. © Picture Alliance / dpa / Sven Simon
Von Ulrike Timm · 31.10.2019
Audio herunterladen
Die Konkurrenz kommt nicht umhin, der "FAZ", dem ehrwürdigen Schlachtschiff des Qualitätsjournalismus, herzlich zum 70. Geburtstag zu gratulieren. Vor allem die linke Antipodin "taz" tut dies genüsslich.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ist in die Jahre gekommen: 70 sind es genau. "Happy Birthday, alte Schachtel" – so melden sich die TAZ-Kollegen mit drei kritisch-würdigenden Grüßen aus der Redaktion zum runden Geburtstag. Ein "vergiftetes Lob" findet Jan Feddersen angebracht, die FAZ sei Freude und Ärgernis zugleich. "Elitär, standesbewusst, tonangebend", meint der TAZ-Redakteur über die Kollegen aus Frankfurt und erklärt sie zugleich für unverzichtbar, gerade fürs eigene linke Spektrum.
"Für Menschen, die ungern dauernd sich selbst bestätigt sehen und also auf Lektüre weltanschaulich gegensätzlicher Blätter angewiesen sind, ist diese Zeitung pures Gold. Sie leistet sich einerseits Oppositionsgeist wider die Konservativen, (…) andererseits war und ist sie gegen alles, was irgendwie politisch links ist: Mietendeckel, Reichensteuer, sozialstaatliche Besserungen. Aber immer wahnsinnig kenntnisgesättigt argumentierend."

Vom Duft nach alten Zigarettenrauch, Dandytum und Snobismus

Feddersens Kollegin Ulrike Herrmann übernimmt den Staffelstab und preist die Konkurrenz so: "Sobald es ums Geld geht, ist niemand genauer als der FAZ-Wirtschaftsteil. Gleich mehrere Artikel haben höchst kenntnisreich dargestellt, dass sich durch den Mietendeckel schon jetzt nicht mehr risikofrei mit Immobilien spekulieren lässt. Eines der Ziele ist also bereits erreicht, lässt sich zwischen den Zeilen lernen."
Und weil der heutige Feuilletontag ansonsten etwas mau ist, darf ausnahmsweise auch noch der dritte TAZ-Autor der FRANKFURTER ALLGEMEINEN zum 70. Geburtstag gratulieren: "Fast duftet die FAZ noch ein wenig nach dem letzten Zigarettenrauch, Dandytum und Snobismus umweht sie ohnehin. Derweil schlägt einem beim Aufschlagen der Konkurrenz aus München eher der Geruch einer Sportumkleide entgegen – die SÜDDEUTSCHE ist und bleibt eben doch eine Lehrerzeitung", so Ambros Waibel von der TAZ.
Die SÜDDEUTSCHE kann sich dagegen nicht wehren, sie hat samt ihrer Lehrerleser frei, Allerheiligen. Ob und wie die FRANKFURTER ALLGEMEINE selbst feiert – dazu hat sie uns vorab nichts geschickt.

Ai Weiwei zeigt Humor

So wollen wir nur kurz vermelden, dass ihr Herausgeber und Feuilletonchef, Jürgen Kaube, bei einer Preisverleihung in der Zürcher Universität einen ungewöhnlich gut gelaunten Ai Weiwei vorfand. Der Künstler gab freimütig zu Protokoll, er sei "nicht immer der eigenen Meinung" und auf die Studentenfrage, ob Künstler stets politisch sein müssten, formulierte Ai Weiwei knapp: "Wenn sie schlafen nicht." Für Ai Weiwei ist das sicher viel Humor.
Medien sind heute zahlreich in den Medien, WELT und TAGESSPIEGEL beschäftigen sich mit der Netflix-Serie "Wir sind die Welle", die von der Radikalisierung einer Jugendökobewegung erzählt und die, obwohl sie sich im Klein-Klein verliert und oft "aus Zeitmangel knietief im Klischee stecken bleibt" – das meint die WELT – genau die Probleme anspricht, vor denen Fridays for Future und Extinction Rebellion heute stehen. "Sie stellen alles in Frage", meint der TAGESSPIEGEL über die Jugendlichen, von denen die Serie erzählt. Und das passe bei aller Kritik eben doch gut zu Extinction Rebellion und zu Greta Thunberg.

Fieser Zungenbrecher

Erstaunlichen Buchstabensalat finden wir in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "‘Schnittstellenmanager Strategische Verwaltungsorganisation Digitales System Umgebungsgesetz.‘ Nein, das ist kein Witz. Das ist eine Stellenbeschreibung aus den Niederlanden."
Was die Bewerber tun sollen, weiß kein Mensch, aber dafür sollen jetzt Sprachtrainer holländischen Beamten Klartext beibringen, eine "Direkt-Deutlich-Brigade" soll es richten. Ob das rettet? "Wie viele rufen nach Bürokratieabbau, nur um den nächsten Papiertiger zu falten?" zweifelt die NZZ. Aber sicher werden die Schweizer Kollegen uns genüsslich auf dem Laufenden halten, ob die niederländische Beamtenstelle, für deren erneutes Zitat wir jetzt keinen Platz mehr haben, besetzt wird. Und auch, was man denn tut, wenn man den Job hat - ob sprachdirekt oder sprachgeschwurbelt.
Mehr zum Thema