Aus den Feuilletons

Hallo SPD, wo bist Du?

04:19 Minuten
Am Rand einer Straße hängen bei der Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg viele Wahlplakate nebeneinander.
Wahlplakate bei der Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg: Wer findet die SPD? © picture alliance / dpa / Daniel Kubirski
Von Klaus Pokatzky · 29.04.2021
Audio herunterladen
Die "Süddeutsche Zeitung" träumt von einer "politischen Kraft der liberalen Linken, die dezidiert europäisch organisiert ist". Denn die ehemals internationalen Sozialdemokraten sind verschütt gegangen: "Wenn Sie die SPD irgendwo sehen, bitte umgehend melden!"
"Ich höre von vielen jüngeren Leuten, sie möchten Journalist werden, weil sie etwas verändern wollen", lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. "Das wollte ich nicht", sagt Constantin Schreiber im Interview. "Ich wollte die Welt sehen", erzählt der Sprecher der "Tagesschau", der einst als Korrespondent aus Arabien und Afrika berichtet hat. "Journalisten sollen die Welt beschreiben, wie sie ist, und nicht, wie sie sein sollte."

Die Sozis haben ihre Gründungsidee vergessen

Aber manchmal dürfen sie sich auch etwas wünschen: die Journalisten. "Eine Bitte zum 'Tag der Arbeit'" hat Nils Minkmar: "Wenn Sie die SPD irgendwo sehen, bitte umgehend melden!", wünscht er sich in der SÜDDEUTSCHEN. "Bergmannschor und Juso-Hochschulgruppe, neue Gesellschaft, irgendwie orange", beschreibt er die guten alten, rötlichen Zeiten: "Wo seid ihr hin?"
Ja, wo sind die Bergleute nur hin – die Zechen im Ruhrgebiet sterben aus; in den Schrebergärten haben sich schon längst die Studienräte und Zahnärztinnen breitgemacht; und mit der sozialistisch-internationalen Solidarität ist es auch nicht mehr weit her.
"Waren, Finanzen und das berühmte Internet kennen keine nationalen Grenzen mehr", meint Nils Minkmar. "Doch ausgerechnet die Parteien, die einst als Internationalisten antraten, haben diese schöne Gründungsidee unterwegs liegen lassen. Wie glorreich wäre eine politische Kraft der liberalen Linken, die dezidiert europäisch organisiert ist, deren Spitze aus einem Team polyglotter Reisekader bestünde, die in allen europäischen Hauptstädten und zugleich in den Regionen präsent und wahrnehmbar sind?"
Aber bitte erst nach einem Coronatest. "Der Deutsche Musikrat hat 2.900 Künstlerinnen und Künstler befragt, wie es ihnen in der Coronakrise ergangen ist", erfahren wir aus dem Berliner TAGESSPIEGEL. "Vor allem die Freiberufler haben massive Einnahmeeinbrüche hinnehmen müssen, nur 38 Prozent der Befragten haben staatliche Hilfeleistungen in Anspruch genommen."
Und was ist da von der künstlerischen Videoaktion "#allesdichtmachen" zu halten, die die Szene in den letzten Tagen so in Wallung gebracht hat? "Jeder hat das Recht auf künstlerisches Scheitern", findet die Schauspielerin Lisa Jopt. "Alle sind frustriert, die Durchhaltedisziplin geht uns aus", meint sie im Interview mit dem TAGESSPIEGEL. "Die Asymmetrie zwischen sozialen und kulturellen Beschneidungen, die Tatsache, dass es noch nicht mal eine Maskenpflicht in wirtschaftlichen Betrieben gibt, das ist für fast niemanden mehr nachvollziehbar."

Gesellschaften mit und ohne Maske

Da meldet sich gleich ein heftiger Maskengegner. "Nur der Mensch macht das Gesicht zum Ort, an dem er in seiner Wahrheit erkannt wird", erinnert uns die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. "Der Mensch ist das Lebewesen, das sein Gesicht im Spiegel erkennt und sich im Antlitz des anderen spiegelt und wiedererkennt", schreibt Giorgio Agamben.
"Von Angesicht zu Angesicht erkennen sich die Menschen und begeistern sich füreinander." Wobei sich bei manchem Angesicht die Begeisterung ja auch durchaus in Grenzen halten mag. "Eine Gesellschaft ohne Gesicht, ohne Vergangenheit und ohne physischen Kontakt ist eine unfreie Gesellschaft von Gespenstern", findet der italienische Philosophie-Professor: "Es ist eine Gesellschaft, die als solche mehr oder weniger schnell dem Untergang geweiht ist."
Doch heutzutage sind leider gerade auch Gesellschaften ohne Masken dem Untergang geweiht: mehr oder weniger schnell.
Mehr zum Thema