Aus den Feuilletons

Goldener Bär für einen Mundnasenschutz-Porno

04:18 Minuten
Die Preise der Berlinale:Ein goldener Bär und drei silberne Bären.
Das Maskentragen habe eine erstaunliche Wirkung, schreibt die Welt über Radu Judes Film, der den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen hat. © dpa / picture alliance / Michael Kappeler
Von Tobias Wenzel |
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Bei der Berlinale-Preisverleihung sind deutsche Produktionen trotz Topbesetzung leer ausgegangen. Möglicherweise habe sich die international besetzte Jury geirrt oder es liege an falschen Maßstäben der deutschen Filmbranche, wundert sich die "FAZ".
"Pechbumsen oder bekloppter Porno", wagt Hanns-Georg Rodek in der WELT eine Übersetzung von ''Bad Luck Banging or Loony Porn", dem Film des rumänischen Regisseurs Radu Jude, dem diesjährigen Gewinner des Golden Bären.

Mundnasenschutz enthemmt

Rodek dämpft aber gleich mögliche Vorfreuden: "Porno-Qualität besitzen lediglich die ersten fünf Minuten von 'Pechbumsen'." Eine Lehrerin hat mit ihrem Mann einen Porno gedreht, der ohne ihr Wissen im Internet landet, und wird dann von den Eltern ihrer Schüler verurteilt. Alle tragen Corona-Masken.
"Man bekommt das Gefühl, dass die Maskierung die Eltern geradezu enthemmt, denn sie sind hinter ihrem Mundnasenschutz fast so anonym wie in einem Internetforum", schreibt Rodek. "Die Pandemie, die Maskenpflicht, sie wirken bei Jude wie ein Wahrheitsserum, das all die tiefsitzenden, von öffentlichem Meinungsdruck nur überdeckten Instinkte und Vorurteile zum Vorschein bringt." Die Feuilletons zeigen sich sehr angetan von diesem Berlinale-Jahrgang.

Berlinale-Jury lässt deutsche Filme durchfallen

Allerdings wirft Andreas Kilb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG die Frage auf, warum wieder kein deutscher Film einen Preis gewonnen hat. Dominik Grafs Film "Fabian" und Daniel Brühls "Nebenan" seien "Spitzenprodukte der deutschen Filmförderlandschaft, stilsicher, großartig besetzt und gespielt":
"Aber eine internationale, aus sechs früheren Berlinale-Gewinnern zusammengesetzte Jury findet offenbar keine dieser hierzulande so geschätzten Qualitäten interessant", schreibt Kilb. "Entweder ist also das Weltkino schief gewickelt, oder etwas stimmt nicht mit den Maßstäben der deutschen Filmbranche."
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"Das Erfahrungsparadox" lautet die Überschrift nicht zur Berlinale-Kritik in der FAZ, sondern zu einem Artikel von Mara Delius für DIE WELT. Es geht um das Gedicht, das die junge schwarze Lyrikerin Amanda Gorman zur Amtseinführung von Joe Biden vorgetragen hat.
Die für die niederländische Übertragung ursprünglich vorgesehene weiße Übersetzerin, für die sich Gorman selbst ausgesprochen hatte, machte einen Rückzieher, nachdem Kritik aufgekommen war: Eine weiße Frau habe nicht den Erfahrungshorizont einer schwarzen.

Übersetzung im Dreierpack

Mara Delius hat nun auf die Ankündigung der deutschsprachigen Übersetzung bei Hoffmann und Campe geblickt und festgestellt, dass der Verlag dafür drei Übersetzerinnen engagiert hat.
Na ja, eigentlich nur eine Übersetzerin: die Weiße Uda Strätling. Die schwarze Politikwissenschaftlerin und Rassismusexpertin Hadija Haruna-Oelker und die deutsch-türkische Netzaktivistin Kübra Gümüşay seien dagegen bisher nicht als literarische Übersetzerinnen in Erscheinung getreten.
"Warum sollte eine deutsche Rassismusforscherin besser übersetzen können als eine renommierte literarische Übersetzerin, die seit Jahren Texte aus dem Amerikanischen übersetzt, die unter anderem von Rassismus handeln?", fragt Mara Delius.
Und der Leser des Artikels mag sich fragen, wie interessant das wäre, den drei Frauen beim gemeinsamen Übertragen des Gedichts über die Schulter zu schauen, und ob da vielleicht die politische Korrektheit die Verse zerstört.
Delius erinnert in der WELT an Walter Benjamins Übersetzungstheorie: "Übersetzen bedeutet dichten; ein Übersetzer ist kein Erfahrungsexeget, sondern ein Künstler. Oder ist Benjamin auch nur ein privilegierter weißer Cis-Mann aus dem 20. Jahrhundert?"

Gefängnis als Weltraumkapsel

Egal, ob politisch korrekt übersetzt oder nicht, einen gedruckten Gedichtband von Amanda Gorman kann Alexej Nawalny gerade im Untersuchungsgefängnis nicht lesen. Er habe nämlich keinen Zugang zur Bibliothek, berichtet Kerstin Holm in der FAZ.
Seinen Humor habe er trotzdem nicht verloren: "Seine Moskauer Zelle verglich der Fan von Weltraumfilmen in einem Instagram-Post mit einer Weltraumkapsel, und die Uniformierten, die ihm, mit einer Minikamera auf der Brust, Essen brachten und nur Wortschablonen von sich gaben, nannte er Androiden."
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