Aus den Feuilletons

Feminismus vor Gericht

04:23 Minuten
Ein Transparent mit der Aufschrift: "Die Kontrolle über den eigenen Körper ist die Grundlage jeder Demokratie."
Feministische Aktivist:innen stören den alljährlich durch Berlin ziehenden "Marsch für das Leben". Dabei handelt es sich um eine Demonstration von Abtreibungsgegnern. © imago / Christian Spicker
Von Arno Orzessek · 07.02.2021
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Weil sie im Sommer 2019 den sogenannten "Marsch für das Leben" – eine Demonstration gegen Abtreibungen – stoppten, müssen sich feministische Aktivist:innen jetzt vor Gericht verantworten. "Feminismus ist kein Verbrechen", sagt eine der Angeklagten.
Zunächst etwas leise Nostalgisches für die Älteren unter uns! Einige werden ihn geliebt, andere werden ihn womöglich gehasst haben: Herbert von Karajan, den Heroen am Dirigentenpult und Superstar der klassischen Musik, auch langjähriger Chef der Berliner Philharmoniker, gestorben im Wendejahr '89.
Ohne erkennbaren Anlass veröffentlicht der Berliner TAGESSPIEGEL eine Würdigung von Ulrich Eckhardt, ehemals Intendant der Berliner Festwochen. Charakteristischer Titel "Der letzte Titan":
"Scheinbar ein mondäner Playboy und glamouröser Gast in der High Society, war Karajan in Wirklichkeit ein besessener Arbeiter, ernsthaft und skrupulös bis zum Exzess. Seine Proben waren gründlich, im Detail unerbittlich gegenüber falschen Tönen und falschen Phrasierungen. Sein Gehör war unbestechlich, sein Formsinn hoch entwickelt. Perfektionismus hieß die Parole – und er konnte einfach nicht glauben, dass der Begriff pejorativ gegen ihn gewendet werden konnte."

Kollektive Unfähigkeit, das Virus zu besiegen

Und schon ruft die Pandemie: "Sei frei, tu, was du willst, aber wolle das Richtige" – diese paradox-ironische Parole gibt der Soziologe Armin Nassehi im Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG aus. Es geht um die "kollektive Unfähigkeit, das Virus zu besiegen". Nassehi distanziert sich von allen möglichen Kritikern des Lockdown-Kurses der Exekutive, aber auch er selbst findet manches zu bekritteln:
"Wir haben ein ganzes Jahr verloren, weil wir viele Dinge noch immer nicht wissen: Wir wissen nicht genug darüber, wo die Leute sich anstecken, wie sie sich anstecken, und deshalb sind viele differenzierte, präzise Maßnahmen und Eingriffe bis heute nicht möglich. Zeit ging verloren, um mittelfristige Planung zu machen.
Das formuliere ich tatsächlich als Vorwurf. Es bestätigt mein systemtheoretisches Gesellschaftsmodell, wonach so etwas wie kollektives Handeln für eine komplexe moderne Gesellschaft fast unmöglich ist, wenn man es nicht politisch autoritär durchsetzen will."
Wenig zuversichtlich: Armin Nassehi in der SZ.

Wie feministischer Protest kriminalisiert wird

Klare Kante zeigt die TAGESZEITUNG. Sie stellt sich unter dem polemischen Titel "Vorwurf: Feminismus" an die Seite der "Aktivist:innen", die 2019 in Berlin per Sitzblockade einen sogenannten "Marsch für das Leben" von Abtreibungsgegnern gestoppt haben und nun einzeln vor Gericht stehen:
"Jeder Anwalt, jede Anwältin darf laut dem Bündnis 'What the fuck' nur ein Mandat übernehmen, um Mehrfachverteidigungen zu verhindern", erläutert Patricia Hecht. "Das Gesetz, auf dem dieses Verbot beruht, wurde im Zusammenhang mit den Strafverfahren gegen Mitglieder der RAF erlassen. Für jedes Verfahren findet eine Beweisaufnahme statt, werden Zeug:innen geladen und ein bis zwei Verhandlungstage benötigt. Wie viele Staatsanwält:innen und Richter:innen in den Gerichtsverfahren insgesamt beschäftigt sind, könne nicht festgestellt werden, heißt es aus deren Pressestellen."
Die TAZ verschweigt nicht, dass viele Verfahren gegen kleinere dreistellige Geldbeträge eingestellt wurden. Aber sie zitiert auch eine Demonstrantin, die auf ein gültiges Urteil beharrt und sich in diesem Jahr erneut dem "Marsch für das Leben" entgegenstellen will:
"Feminismus ist kein Verbrechen. Solange die menschenverachtenden Positionen christlicher Fundamentalist:innen staatlich gedeckt werden und unser Protest ungerechtfertigt kriminalisiert wird, lasse ich mich nicht zum Schweigen bringen".
Das klingt nach reichlich progressiver Energie.

Von der WG ins Eigenheim

In der Tageszeitung DIE WELT freut sich dagegen der Autor und Ex-WGler Frédéric Schwilden darüber, endlich in sein Einfamilienhaus eingezogen zu sein:
"Jetzt möchte ich nie wieder woanders als in einem eigenen Haus leben. Die Wände anzufassen und zu wissen, dass diese über 100 Jahre alten Wände jetzt mich und meine Kinder die nächsten Jahre beschützen werden, und zu wissen, wenn alles gut läuft, wird uns das keiner nehmen können: Das sind zweifelsohne Privilegien, aber das ist auch wunderschön."
Tja. Falls auch Sie plötzlich eine unwiderstehliche Lust auf Hauskauf verspüren, möchten wir Ihnen mit einer FAZ-Überschrift dringend raten: "Bitte bewahren Sie jetzt kühlen Kopf".
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