Aus den Feuilletons

"Feigheit vor dem Freund"

04:18 Minuten
Aus einem schwarzen Papierloch schaut ein Gendersternchen hervor.
Aus einem schwarzen Papierloch schaut ein Gendersternchen hervor. © dpa picture alliance/ dpa-Zentralbild/ Sascha Steinach
Von Tobias Wenzel · 11.03.2019
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Ob und wie gendergerechte Sprache zu kritisieren sei, wird kontrovers diskutiert. Die "Welt" wirft der "taz" vor, die Kritiker als "kleinbürgerliche Würstchen" bezeichnet zu haben. Und die "Süddeutsche Zeitung" mischt auch noch mit.
"Es weht ein muffiger Wind der Unfreiheit", schreibt Thomas Schmid in der WELT und kritisiert indirekt die Feuilletons anderer Zeitungen. Der Verein Deutsche Sprache hat in der letzten Woche einen Aufruf gegen die sogenannte gendergerechte Sprache gestartet, den bisher mehr als 36.000 Menschen unterschrieben haben. Ein Aufruf also gegen Gender-Sternchen und die – Zitat – "lächerlichen Sprachgebilde" wie die "Studierenden" und "Radfahrenden" anstatt "Studenten" und "Radfahrer".

Der Zusammenhang der Geschlechter

Es sei ein Irrtum anzunehmen, so der Verein, zwischen dem natürlichen und dem grammatischen Geschlecht bestehe ein fester Zusammenhang. Schmid belegt nun anhand von Zitaten aus den Feuilletons, wie das "linksliberale Milieu" mit den Kritikern der gendergerechten Sprache umgeht. Nämlich, als ob es sich um ein "sinistres rechtes Manöver" handelte. Die "taz" habe die Unterzeichner "jämmerliche Parade kleinbürgerlicher Würstchen" genannt.
Dabei, so Schmid, gehörten zu den Erstunterzeichnern auch der Kabarettist Dieter Nuhr und die Schriftstellerinnen Judith Hermann und Katja Lange-Müller, also nicht gerade rechte Intellektuelle. Die "Süddeutsche Zeitung" habe aber geschrieben, diese respektablen Persönlichkeiten hätten sich mit ihrer Unterschrift "in den Dunstkreis der AfD" begeben.

Durch Unterschrift infiziert?

"Wer einen Aufruf unterzeichnet, dem sich gewiss auch AfD-Leute angeschlossen haben, der läuft Gefahr, angesteckt, infiziert zu werden", versucht Thomas Schmid die verquere Logik zusammenzufassen:
"Weil er in schlechter Gesellschaft daherkommt, zählen seine Argumente nicht mehr."
Schmid hat bei linksliberalen Journalisten der "Süddeutschen Zeitung" und der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zwar auch Missfallen gegenüber der gendergerechten Sprache beobachtet, sie hätten aber nicht den Mut, Kritik daran offen zu äußern, und zwar, analysiert er, aus "Feigheit vor dem – angeblichen – Freund".

Bei Skandal Kündigung

Der Freund kann schnell zum Feind werden, der eigene Mitarbeiter offensichtlich auch. US-amerikanische Verlage gehen vermehrt dazu über, sogenannte "Moralklauseln" in den Verträgen mit ihren Autoren unterzubringen. Darüber berichtet Meredith Haaf in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Die "gestiegene Sensibilität der Öffentlichkeit gegenüber sexualisiertem Machtmissbrauch" sei Grund für solch eine Moralklausel.
"Darin behält sich [der Verlag] Condé Nast vor, das Verhältnis nach eigenem Ermessen zu beenden, sollte der Vertragspartner zum ‚Gegenstand öffentlichen Ansehensverlustes, Abscheus oder Skandals‘ werden", nennt Haaf ein konkretes Beispiel.
Sie erinnert daran, dass im Filmgeschäft solche Moralklauseln im Hollywood der 20er-Jahre eingeführt wurden. Das habe damals zur Selbstüberwachung geführt, die wiederum der Zensurbehörde als Arbeitsgrundlage gedient habe.
"Droht also eine neue Ära politisch-moralischer Zensur auf den Schwingen einer Bewegung gegen sexualisierten Machtmissbrauch?", fragt Meredith Haaf und stuft Begriffe aus den Klauseln wie "öffentliche Abscheu" und "moralische Verwerflichkeit" als juristisch kaum zu halten ein:
"Aus dieser Perspektive erscheint die Moralklausel als Ausgeburt der Diskurshölle."

Von Wörtern behütet

Von der Hölle zum Hüter: Sie habe das Gefühl, von Wörtern behütet zu werden, sagt Herta Müller im Gespräch mit Franziska Wolffheim von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
"Das hat mit meinem früheren Leben in Rumänien zu tun. Ich hatte immer Angst vor Hausdurchsuchungen, deshalb musste ich das, was ich geschrieben hatte, verstecken, zu Bekannten bringen. Die Wörter haben mich nicht behütet, ich musste sie in Sicherheit bringen. Heute sind sie es, die mir Halt geben."
Anlass des Gesprächs ist ein neuer Wort-Collagen-Band der Literaturnobelpreisträgerin. Daraus zitiert die Journalistin ein verspielt absurdes Beispiel:
"zeitweise KROCH DAS SCHLÜSSELLOCH DIE TÜR hoch es war eine KARIERTE AMEISE".
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