Aus den Feuilletons

Europa und die Suche nach Heimat

Die spanische und katalonische Fahne: Kommt hier bald noch Fahne der Region "Tabarnia" hinzu? Das hoffen die Initiatoren einer Online-Kampagne.
Gefährdet die Suche nach Heimat die europäische Idee? © dpa/Andrej Sokolow
Von Adelheid Wedel · 01.01.2018
"Nationalismus und Separatismus erschüttern Europa", schreibt die "Süddeutsche Zeitung" und fragt, warum Europa nie zu einer Heimat geworden ist. Und die "taz" empfiehlt, sich mit dem Prediger, Dichter und Essayisten Ralph Waldo Emerson zu befassen.
Sollte sich jemand fragen, "wie die Persönlichkeit erfunden wurde", wird er in der Tageszeitung DIE TAZ fündig. Nebenher gewinnt er eine im Artikel ausführlich belegte Erkenntnis:
"Das Pingpong der Ideen, die über den Atlantik hin und zurück reisten, kann uns heute helfen, die Gegenwart zu verstehen."
Auf zwei Zeitungsseiten breitet Stephan Wackwitz seine Kenntnisse über besagte Zusammenhänge aus und geht dabei besonders auf den Prediger, Dichter, Essayisten und transcendentalisten Ralph Waldo Emerson ein. Jener Emerson, der zum Sprecher und einflussreichsten public intellectual des nachrevolutionären Amerika werden sollte, kam 1803 in einem unitarischen Pfarrhaus in Boston zur Welt. Seine wichtigsten Texte "sind die nachträgliche Ausarbeitung von Vorträgen vor bildungswilligen Zuhörern aller Schichten in den größten Sälen der USA. Seine Reden glichen weltlichen Predigten und machten Emerson in wenigen Jahren zu einem berühmten und hochbezahlten Weltweisen." Wir erfahren weiter:
"So einflussreich Emersons Werk und sein persönliches Beispiel für die gesamte moderne Bewusstseinsgeschichte bis heute sind, so wenig bekannt ist er außerhalb der USA."
In Deutschland wird er so gut wie gar nicht mehr gelesen, weiß die Autorin, dabei hört sich doch interessant an, "dass Emerson nie der Sklave irgendwelcher Prinzipien war, seiner eigenen eingeschlossen." Seine Theorien seien so konstruiert, "dass sie vor allem einem guten Leben dienen. Sie behaupten den Vorrang der Demokratie vor der Philosophie." Außerdem:
"Selbstwidersprüchlichkeit ist für ihn geradezu der Ausweis von menschlicher und politischer Größe."
Und wer wusste schon, dass "sich im frühen 19. Jahrhundert eine Gruppe von amerikanischen Goethe-Fans vorgenommen hatte, eine nationale Kultur zu schaffen. Die germanophilen amerikanischen Revolutionäre wie Emerson, Henry David Thoreau, Amos Bronsen Alcott", so empfiehlt der Autor, "sind in Deutschland immer noch zu entdecken als ein Kulturerbe, das wir mit Amerika … unwiderruflich teilen."

90 Millionen Europäer sprechen Deutsch

In der Tageszeitung DIE WELT nimmt Marc Reichwein die nationale Karte auf. Und das nahezu wörtlich, denn er informiert über ein Projekt, "bei dem ein junges Forscherteam anhand von 24 Begriffen die regionalen Besonderheiten des Deutschen kartografieren." 90 Millionen Europäer sprechen Deutsch, "Deutsch ist die meistgesprochene Muttersprache des ganzen Kontinents". Mit "Blick auf Wortkarten" ergeben sich völlig andere Gebietsallianzen im deutschen Sprachraum als die politischen Grenzen vorgeben. "Das rege Bekenntnis zur sprachlichen Varietät erscheint zunächst paradox in einer Zeit, in der Dialekte, zumindest in Deutschland, nachweislich zurückgehen", resümiert Marc Reichwein.

Europa und der Separatismus

Den Zusammenhang von Heimat und Sprache betrachtet auch Karin Janker in einem Beitrag in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. "Nationalismus und Separatismus erschüttern Europa. Was tun?" fragt sie und rät:
"Vielleicht erst mal neue Heimatschriftsteller wie Sasa Stanisic lesen. So anachronistisch die Idee der Heimat angesichts der globalisierten Welt erscheint,… so attraktiv ist sie gerade in diesen Zeiten. Ob in Großbritannien oder Katalonien, überall in Europa geht in den politischen Separatismus die Suche der Menschen nach dem ein, was sie Heimat nennen, umhegen und abgrenzen können."
Das gefährde die europäische Idee, meint die Autorin und macht auf einen Mangel aufmerksam: "Im Wettstreit mit den Separatismen fehlt der EU dieser Bezugspunkt. Sie ist nie zu einer Heimat geworden."

Die größte Hausaufgabe der Politik

Europa zu einer Heimat zu machen, das wäre eine lohnende Hausaufgabe, über die sich Doris Akrap in der TAZ auslässt. Sie fragt:
"Werden Hausaufgaben, die die Pädagogen abschaffen wollen, in außerpädagogischen Zusammenhängen immer wichtiger, weil bei Hausaufgaben sowieso niemand kontrollieren kann, ob man sie selbst erledigt hat oder andere?"
Zweifelsfrei steht vor den Politikern Deutschlands die dringende Hausaufgabe, im begonnenen Jahr schnell eine Regierung zu bilden. Ob man es nun so nennt oder anders.
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