Aus den Feuilletons

"Europa ist kein sprechendes Subjekt"

04:22 Minuten
Das Bild zeigt die Illustration einer EU-Flagge.
Ähnelt einem Heiligenschein, ist aber eine EU-Flagge. © imago stock&people / imago images / Jonathan McHugh
Von Ulrike Timm · 24.05.2019
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Kurz vor der Europawahl beschäftigt sich das Feuilleton mit dem Staatenverbund und versucht zu erklären, warum sich noch immer so viele Menschen schwer mit ihm tun.
"Ein wenig Selbsterkenntnis vor dem Gang an die Urnen kann nicht schaden", denkt sich Paul Ingendaay in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG und vergegenwärtigt sich und uns, wie schwierig die Sache mit Europa doch ist. Kaum einer kennt, geschweige denn versteht die Strukturen, und ja, wir sind auch sehr selbst dran Schuld.

Schwierigkeiten mit Europa

Doch seien die europäischen Verästelungen auch "einfach zu groß und auf kuriose Weise zu 'ortlos', um sie den Menschen im Vorbeigehen zu erklären, und selbst wenn sie es nicht wären: jedes Land deutet Europa nun einmal durch die verbrauchten Filter der eigenen Medien. Kurz: Europa ist kein sprechendes Subjekt."
Gebraucht würde nichts weniger als eine "neue Rechtfertigung", und auf der Suche danach hat der FAZ-Autor Ingendaay den bulgarischen Denker Ivan Krastev für sich entdeckt. Der gibt ihm und uns bei allen Schwierigkeiten den tröstenden Satz mit: "Linear ist der Fortschritt nur in schlechten Geschichtsbüchern".
Weniger philosophisch, aber sehr gebrauchsfertig kommt uns Christiane Peitz im TAGESSPIEGEL daher. Sie hat die Lage der Kultur in Europa sondiert und stellt zum "Creative Europe"-Programm fest: "1,5 Millionen Kreative haben vom aktuellen, seit 2014 laufenden Programm bisher profitiert – und über 70 Millionen Besucher und Zuschauer."
Europa macht keine Kulturpolitik, aber es fördert Projekte, vielfältig und auch wirkungsvoll. Und der TAGESSPIEGEL sondiert so fleißig die unterschiedlichen Töpfchen und Töpfe, dass mancher vielleicht gleich einen Förderantrag stellt. Fazit: "Geht wählen! Zerfällt Europa, geht es der Kultur an den Kragen".

Der Werbesprech der Buchverlage

Die WELT widmet sich da eher Kleinkram. "Ah, die Verlagskataloge sind da" stellt Mara Delius fest, und es klingt nicht besonders vorfreudig – Literaturredakteure ertrinken nämlich. Das liegt nicht nur daran, dass "es inzwischen fast mehr schreibende Schauspieler, Musiker oder Journalisten gibt als tatsächliche Schriftsteller und mehr Streitschriften, Aufrufe und Einwürfe gibt als Sachbücher."
Sondern es liegt auch an der Werbeprosa-Überschwemmung durch die Verlage. Deren Vorschauen oder auch die per e-mail eintrudelnden Vor-Vorschauen liefern nämlich ein "skurriles Bild von Literatur und den Gründen, warum jemand überhaupt Bücher liest oder schreibt", meint die WELT und fasst das uferlose Marketing-Sprech mit spitzer Feder in "13 Thesen zur Verkäuflichkeit der Literatur".
Mara Delius sammelt fleißig, liest, dass Literatur "etwas mit uns macht", "ergreifend, hinreißend, aufrüttelnd, herzenswarm" daherkommt, dass ein Roman "zeitgemäß" oder "heutig" sein und ein Sachbuch die Welt retten können muss. Allermindestens aber Deutschland.

Ein besserer Mensch durchs Lesen?

"Und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass das schon morgen passieren wird, immerhin gibt es ca. 200 Titel, die 'das Buch der Stunde', ggf. 'auch des Jahrzehnts' sind". Da wird geflissentlich "eines der größten Themen unserer Zeit" behandelt. Also wahlweise "Feminismus, Rassismus, Gleichberechtigung, Wohnen, makrobiotische Ernährung".
Klar, die armen Werbefritzen können einem auch Leid tun, wenn sie sich immer wieder die gleichen Worte aus den Fingern saugen. Aber ebenso, wie die WELT-Autorin um die Fleißarbeit nicht zu beneiden ist, mit der sie alles zusammengetragen hat, hoffen wir inständig, es mögen sich trotz des PR-Geschwurbels noch ein paar gute Bücher finden.
"Bücher machen uns nicht besser" tönt es prosaisch aus der Schweiz. "Lesen ist ein Genuss! Man kann das Buch durchaus hochhalten, ohne es zu überhöhen". So tritt die NZZ furztrocken der These entgegen, die Menschheit würde verrohen, wenn die Romanleser verschwinden. Claudia Mäder – bestimmt eine Vielleserin – ist sich nämlich ganz sicher: Das passiert schon nicht!
Die TAZ wiederum empfiehlt ein Sachbuch, das vom Leben großer Ökonomen erzählt. Da lernen wir dann wirklich was, zum Beispiel "Die erste Million macht mehr Spaß als die zweite!" Nun denn, packen wir’s also an.
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