Aus den Feuilletons

Ein kulturelles Waterloo

Angehörige der britischen Armee proben für ein Reenactment der Schlacht von Waterloo.
Angehörige der britischen Armee proben für ein Reenactment der Schlacht von Waterloo. © picture alliance / dpa / Sgt Rupert Frere Rlc / British M
Von Hans von Trotha · 15.06.2015
Die Schlacht von Waterloo jährt sich jetzt zum 200. Mal und es scheint fast so, als wären sich die Briten und Franzosen deshalb spinnefeind, denn für eine Velasquez-Ausstellung im Pariser Grand Palais verweigerten sie die Herausgabe eines Bildes, berichtet die "FAZ". Das hängt ausgerechnet im Wellington-Museum.
Kultur ist Politik. Joseph Croitoru berichtet in der FAZ:
"Im Irak, wo das Schreckens-'Kalifat' des IS ganze Staatsgebiete in seine Gewalt gebracht hat und weiter auf dem Vormarsch ist, wird der Kulturbetrieb gegen den Terror mobilisiert. So lud das Nationaltheater in Bagdad in der vergangenen Woche zu einem ganz besonderen kulturellen Ereignis: zum 'ersten irakischen Theaterfestival gegen den Terrorismus'."
Lesen gegen den Terrorismus?
"Tatsächlich muss vor dem Hintergrund (der IS-)Zerstörungszüge jede Art künstlerischen Schaffens und Kulturkonsums fast schon unweigerlich als Akt zivilisatorischer Selbstbehauptung erscheinen – auch das Lesen. Mitte April erklärte der (Kultur-)Minister 2015 zum 'Jahr des Lesens'; bezeichnenderweise geschah dies auf einer Buchmesse in Bagdad, die mit dem Slogan 'Trotz des Terrors siegt unser Buch' überschrieben war. Allein schon die Tatsache, so (Minister) Rawanduzi, dass in dieser schwierigen Zeit in der irakischen Hauptstadt eine Buchmesse stattfinde, sei eine unmissverständliche Botschaft und ein Beweis für die tiefe kulturelle Verwurzelung der Iraker."
Die Intellektuellen im Land rief der Minister auf, eine "Front der wirklichen Kultur" zu bilden, die sich der dschihadistischen Unkultur der Terrorbanden entgegenstellen soll:
"Wie unsere Soldaten den Feind mit Waffen, so werden wir ihn mit Worten bekämpfen."
Hongkong wird subtil unterwandert
Subtiler agiert die chinesische Regierung an der kulturpolitische Front. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erinnert Jörg Häntzschel aus Hongkong an das "Umbrella movement" für mehr Demokratie, das vor einem halben Jahr niedergeschlagen wurde.
"Genau wie in China arbeitet die Maschinerie zur Formung der öffentlichen Meinung in undurchdringlichem Dunkel. Was Zensur ist und was Selbstzensur, wer was veranlasst hat und warum, ist kaum je zu benennen."
Häntzschel berichtet vom langfristigen Ziel der chinesischen Regierung, Hongkong nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch kulturell zu durchdringen:
"Die Flaggen in den Schulen, die patriotischen Lieder sind nur der Anfang: 'Nehmen Sie die Sprache', sagt (der Aktivist) Benedict Leung. 'Wir sprechen Kantonesisch, in China sprechen sie Mandarin. Jetzt behauptet die Regierung, Kantonesisch sei gar keine Sprache. Sie wollen Mandarin auch hier zur offiziellen Sprache machen. In den Schulen soll es Pflicht werden.' Leung zieht eine drastische historische Parallele: 'Es ist wie in China in den Sechzigern, eine Neuauflage der Kulturrevolution. Sie wollen unsere Sprache, unsere Kunst, unsere Gedanken zerstören'."
In Peking darf dagegen Ai Weiwei neuerdings wieder ausstellen, was er lange nicht gedurft hatte. "Offenbar bereitet die Staatsmacht schleichend seine Rehabilitierung vor", meint Johnny Erling in der WELT. Er beschreibt die aktuelle Pekinger Ausstellung des Künstlers.
"Sein Meer aus 3025 Porzellanscherben mit Tigermotiven liegt vor einem 'Fahrradkorb mit Blumen', gebrannt aus weißem Porzellan. Es sieht aus wie Kitsch. Doch das Vorbild steht vor seinem Atelier, ein angekettetes Fahrrad, in das er seit Jahren jeden Tag frische Blumen legt: bis er seinen Reisepass erhält und vollständig rehabilitiert ist."
Waterloo revisited
Kultur sieht halt oft harmlos aus, auch wenn sie es nicht ist. Das gilt auch für die Ablehnung des Leihgesuchs eines französischen Museums durch ein englisches, von der Jürg Altwegg in der FAZ erzählt. "Die Engländer können es nicht lassen", schreibt er im Jahr 200 nach Napoleons Niederlage in Waterloo.
"Für die laufende Velasquez-Ausstellung im Pariser Grand Palais verweigerten sie den Franzosen den 'Wasserträger von Sevilla'. Das Bild, so ihre Begründung, müsse 200 Jahre nach der Schlacht von Waterloo zu Hause bleiben, im Museum des Siegers Wellington, wo es hängt und vom Ende der napoleonischen Herrschaft über Europa Zeugnis ablegt. Den Russen, ihren damaligen Bündnispartnern, hat London ein Papst-Porträt von Velasquez gerne überlassen.
"Die Briten zelebrieren den zweihundertsten Geburtstag von Waterloo mit viel Aufwand und als ideologische Offensive gegen die Europäische Union, in der sie mehr oder weniger unbewusst eine Neuauflage der Reiche Hitlers und Napoleons wittern. Den Kleinkrieg gegen Frankreich führen sie als zweite Front. 'Wie geht man mit einer Niederlage um, die von einer schwedischen Popgruppe zum Welthit gemacht wurde?', spottet die Times."
Doch Vorsicht, liebe Briten, "Mind the Gap!". Am Ende – und das sollte Mut machen - auch mit Blick auf China, Hongkong, den Irak – am Ende entscheiden die Leute doch immer öfter selbst, von wem sie sich das Hirn waschen lassen. In Waterloo, berichtet Jürg Altwegg nämlich auch, "haben die Engländer die Propagandaschlacht noch nicht gewonnen: Achtzig Prozent der Touristen, die vor Ort nach dem Sieger befragt wurden, antworteten: Napoleon."
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