Aus den Feuilletons

Die Flüchtlingsdebatte und das Ende der Kultur

Der Autor und Philosoph Peter Sloterdijk (2015)
Der Autor und Philosoph Peter Sloterdijk © imago/Stephan Wallocha
Von Hans von Trotha · 03.03.2016
Die deutsche Diskussion über Flüchtlinge zeige das Drama des Kulturverlusts, analysiert Philosoph Peter Sloterdijk in der "ZEIT" - und warnt selbst vor einer "Flutung" mit Flüchtlingswellen und einer "bejahten Überrollung".
Chrystal Meth hat es wieder in die Feuilletons geschafft. Diesmal nicht dank "Breaking Bad", sondern dank Volker Beck. "Should he stay or should he go?", fragt die TAZ. Jan Feddersen meint "Stay”, schließlich habe Beck "die Aktenlagen bis zum letzten paragrafären Spiegelstrich so gut drauf, wie es sonst nur Wolfgang Schäuble nachgesagt wird".
Jürn Kruse sagt "Go". Er hält es für verlogen, dass Beck seine Ämter, nicht aber sein Mandat aufgeben will:
"Es ist sein Gang nach Canossa. So will er zumindest, dass es aufgefasst wird. Dabei ist es höchstens ein Gang von Berlin nach Salzburg oder Innsbruck. Er bleibt auf halbem Weg stehen."

Crystal Meth - Kulturell keine Spur hinterlassen?

Catrin Lorch geht in der SÜDDEUTSCHEN nicht mit Volker Beck ins Gericht, schließlich sind wir im Feuilleton, sondern mit der Droge, und zwar, wie gesagt: wir sind im Feuilleton, mit "ihrem mangelnden Kulturfaktor … Crystal Meth ist eine Droge für den Alltag. Kulturell hat sie keine Spur hinterlassen", lautet die Analyse. Dabei beruft sich Lorch auf eine "Kulturtheorie, die gelernt hat, nicht nur Kino und Theater, sondern auch Vorabendfernsehen und eben Drogenmissbrauch in Bezug auf den Zustand der Gesellschaft zu interpretieren".
Zu den Phänomenen, anhand derer eine Kulturtheorie der Zukunft den Stab über den Zustand unserer Gesellschaft brechen wird, gehört mit Sicherheit das Reden über Flüchtlinge. Niklas Maak berichtet in der FAZ: "In Berlin geistert ein neues Wort herum und sorgt für Aufregung. Das Wort heißt MUF. Nicht Muff, sondern MUF, mit nur einem F. Es steht für 'modulare Unterkünfte für Flüchtlinge', nicht", so Maak weiter, "für 'molekulare Unterkünfte', wie es in der Berliner Lokalpresse auch schon hieß, als ließen sich die Flüchtlinge und das ganze Problem auf Molekülgröße verkleinern."
Als Moleküle könnten sie auch Ströme bilden und in Wellen irgendwohin schwappen. Diese wogende Schwappmetaphorik der Überschwemmung wird ein gefundenes Fressen für die Kulturtheorie der Zukunft sein. Aber so lange müssen wir gar nicht warten. In der ZEIT analysiert die Polemik der Welle sich selbst. Eineinhalb ganze ZEIT-Seiten lang darf Wellentheoretiker Peter Sloterdijk seine Kritiker, namentlich den Politologen Herfried Münkler, abkanzeln. Wobei Sloterdijk, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, feststellt: "Es trifft zu, dass Safranski und ich gegen die 'Flutung' Deutschlands mit unkontrollierbaren Flüchtlingswellen Bedenken ausgedrückt haben.'"

Peter Sloterdijk: "Flutung" und "Überrollung"

Zur "Flutung" gesellt sich in der ZEIT die "Überrollung" - und zwar im alarmierenden Modus der "bejahten Überrollung": "Sind", schreibt Sloterdijk, "nach mehreren Jahren der bejahten Überrollung erst einmal fünf Millionen Asylanten im Land, kann man nur noch dafür beten, es möge einen Masterplan gegeben haben."
In fünf Jahren will Sloterdijk, der sich zunehmend als das einzige ihm selbst noch ebenbürtige Gegenüber entpuppt, der ZEIT dann wieder den Aufmacher schenken:
"Ich würde es begrüßen, wenn die ZEIT Rüdiger Safranski, Herfried Münkler und mich selbst in fünf Jahren, sollten wir uns dann noch unter den Lebenden befinden, zu einem Austausch unserer Perspektiven auf ein Podium einladen wollte. (…) Ich würde Herrn Münkler dann erneut die Frage stellen, wie er seine erstaunliche Wandlung vom gelehrten Imperium-Versteher – eine Position, die man in Grenzen mitvollziehen kann – zum Kavaliers-Politologen rechtfertigt, als welcher er jetzt Frau Merkels unbeirrbar konfusem Handeln ein grand design unterstellt."

Peter Sloterdijk in Altona auf der Chaussee

Die Flüchtlingsdiskussion, so Sloterdijk, ist das Ende der Kultur. "Wendet man sich … dem zu, was sich in Deutschlands aktueller 'Debattenkultur' abspielt, so begreift man unmittelbar das Drama des Kulturverlusts, das sich in den 'sozialen Medien' wie in den vermeintlichen Qualitätsmedien täglich abrollt."
Da rollt es schon wieder. Also, wenn Volker Beck von Berlin aus statt nach Canossa nur bis Salzburg gekommen ist, dann geht es für die von Hamburg ausgehenden Ansätze Peter Sloterdijks in puncto Selbstkritik wie den berühmten reisenden Ameisen von Joachim Ringelnatz: "In Altona auf der Chaussee, da taten ihnen die Beine weh."
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