Aus den Feuilletons

Der überforderte Präsident

04:19 Minuten
US-Präsident Donald Trump im Vorfeld einer Pressekonerenz im Weißen Haus. Um ihn herum stehen Fotografen.
Die "taz" beobachtet den "Irrsinn" eines US-Präsidenten, der mit komplizierten demokratischen Strukturen überfordert sei. © imago-images / Zuma / Shealah Craighead
Von Ulrike Timm · 04.11.2020
Audio herunterladen
Die "taz" sieht in den USA einen "Krieg um die Demokratie" im Gange. Trumps Verhalten sei das eines Diktators und wer über seine Forderung das Auszählen der Stimmen zu stoppen nicht überrascht sei, habe die Demokratie schon aufgegeben.
Tja, in Deutschland wäre ja alles ganz schnell klar gewesen. 89 Prozent für Biden, 4 Prozent für Trump. Diese Umfrage hat die FAZ ausgebuddelt – aber in den USA wählen die Amerikaner. Und die wählen überraschend anders. "Schon seltsam, diese Wähler" meint Michael Hanfeld und sieht Medien und Gesellschaft einmal mehr in der "Selbstgewissheit der eigenen Filterblase, die wieder einmal platzt."

Hängepartie und drohende juristische Kämpfe

Sein Kollege Jürgen Kaube spricht von einer Wahl als Zumutung. "Das Rätsel von 2016 stellt sich nicht nur abermals: Wie kommen mehr als sechzig Millionen Amerikaner auf die Idee, Donald Trump solle sie regieren? Es stellt sich auch auf neue Weise. Denn sie hatten schon vier Jahre mit diesem Präsidenten hinter sich", lesen wir in der FAZ, die fragt, ob die Amerikaner denn tatsächlich zum zweiten Mal in den gleichen Fluss gestiegen seien. Egal wie es nun noch ausgeht. "Es wird eine Weile dauern, bis man es begriffen hat. Der häufige Gebrauch des Wortes 'unfassbar' in den ersten Kommentaren ist aber kein gutes Zeichen. Zumal auch diese Reaktion nur eine Wiederholung wäre."
Es sieht ja so aus, als kriegten wir alle noch ordentlich Zeit zum Rätseln und Knobeln. Eine lange Hängepartie deutet sich an, mit heftigen, womöglich auch juristischen Auseinandersetzungen.

Trumps Verhalten ist nicht wirklich überraschend

Unterdessen sieht die taz gar einen "Krieg um die Demokratie" und meint, ein wenig schnappatmend, nur weil Trump "mit komplizierten demokratischen Strukturen überfordert ist, müssen wir es nicht sein." Wer ist denn da genau wir?
Wer die Rede von Trump verfolgt habe und nicht überrascht worden sei, hätte die Demokratie aufgegeben, so Doris Akrap. Nun hat es viele empört und entsetzt, dass Trump sich schon vor Ende der Auszählung zum Sieger gekürt hat – ein absolutes, in einer Demokratie wohl tatsächlich so noch nie dagewesenes No-Go, natürlich – aber hat es deshalb wirklich "überrascht"? Die taz bezieht sich darauf, dass der Präsident seinen Landsleuten sagte, sie sollen jetzt das Auszählen der Stimmen beenden, und schlussfolgert so:
"Es gibt aber jetzt US-Amerikaner, die morgen früh aufstehen und sich entscheiden müssen, ob sie gegen den Willen ihres Präsidenten ihren Job erledigen und Stimmen auszählen. Das ist der Irrsinn. Und nicht, dass wir noch kein Ergebnis haben. Dass wir das Ergebnis erst kennen, wenn es da ist, das ist Demokratie."

Wie zwei US-Schriftsteller die Wahlnacht verbrachten

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG verfolgt "Amerikanisches Welttheater" in den Medien und staunt, wie sich Fox News in der Wahlnacht gegen die eigene Trumpifizierung wendet, indem der Sender als erstes verkündete, Arizona ginge an Biden. "Da wird er böse sein." Trump natürlich. Dagegen empfahl CNN "Kaffee und Geduld".
Und dann fragt die SZ, die gleich zwei Seiten für die US-Wahlen freiräumt, noch Schriftsteller nach ihrer "Amerikanischen Nacht". Zwei Kostproben: T.C. Boyle schont seine Nerven und hat sich verkrümelt. "Ein Feuer, ein Glas Wein, Abendessen zu Hause mit Frau B. Später, viel später werde ich das Schicksal meiner Nation und von jedem anderen Wesen auf diesem Planeten erfahren."
Auch Jonathan Franzen äußert sich und meint über den möglichen hauchdünnen Sieg Joe Bidens: "Die Tatsache, dass das Rennen überhaupt so knapp ist, ist ein Schlag in den Magen. Ich bin Pessimist, weil ich gerne angenehm überrascht werde, nicht, weil ich später recht bekommen will." Ob das rettet?
Cool bleibt eigentlich nur die NZZ, denn sie hat noch gar nichts zum Thema zu sagen, oder hat sie uns die betreffende Seite nicht geschickt? Sei’s drum, der NZZ gebührt der Schluss, auch wenn es im Gespräch mit dem Regisseur Stefan Haupt um die Widersprüchlichkeiten von Zürich geht. Ja, die Schweizer Kollegen ticken heute irgendwie anders.
Aber ihre Titelzeile ist schön. Da steht: "Ich wünschte mir kühle Köpfe".
Mehr zum Thema