US-Wahl

Hängepartie mit einem selbst ernannten Gewinner

33:39 Minuten
Wahlhelfer beginnen mit der Auszählung von Wahlstimmen in York County, Pennsylvania.
Lange Nacht: Eine Wahlhelferin beginnt mit der Auszählung von Briefwahlstimmen in York County, Pennsylvania. © picture alliance / dpa / ZUMAPRESS.com / Miguel Juarez
Bettina Gaus und Martin Bialecki im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 04.11.2020
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Laut den Umfragen sah es so aus, als würde es für Joe Biden einfach werden: Doch die Wähler in den USA haben sich dafür entschieden, es spannend zu machen. Donald Trump sieht sich schon als Sieger und will Briefwahlstimmen unterdrücken. Was jetzt?
270: Das ist die magische Zahl bei der US-Wahl. So viele Wahlmänner und -frauen sind nötig, um Präsident zu werden.
Dass er noch keine 270 Wahlleute in der Tasche hat, stört US-Präsident Donald Trump allerdings nicht: Er hat sich vorsichtshalber schon vor Auszählung aller Stimmen zum Wahlsieger erklärt. "Wir haben diese Wahl bereits gewonnen", sagte er. Außerdem warf er den Demokraten erneut Wahlbetrug vor, ohne Belege vorzulegen. Trump will die Auszählung von Briefwahlstimmen gerichtlich stoppen lassen.
US-Präsident Donald J. Trump bei einer Erklärung am Abend der Präsidentschaftswahl im East Room des White House in Washington, DC
Hält sich für den Wahlsieger, vor Auszählung aller Stimmen: US-Präsident Donald Trump nach einer Erklärung am Abend der Präsidentschaftswahl im Weißen Haus.© Chris Kleponis / Pool via CNP
Der demokratische Herausforderer Joe Biden kündigte daraufhin ebenfalls an, vor Gericht zu ziehen, wenn Präsident Trump das Wahlergebnis anfechten sollte. Das Biden-Lager erklärte, es handele sich bei Trumps Ankündigung um den Versuch, den Amerikanern ihre demokratischen Rechte wegzunehmen.

Das denkbar schlechteste Ergebnis

Die Situation in den USA scheint explosiv. Für die taz-Journalistin Bettina Gaus bildet der bisherige Verlauf der Wahl das denkbar schlechteste Ergebnis ab: Selbst wenn Biden die Wahl gewinne, werde es unter einem Teil der Anhänger von Trump dafür keine Akzeptanz geben.
Unser USA-Experte Marcus Pindur formuliert das noch deutlicher: Was Trump jetzt tue, grenze an einen Staatsstreich: "Das ist ein Unterlaufen der verfassungsmäßigen Ordnung der USA." Trump trage damit weiter zur Spaltung des Landes bei und deligitimiere die Wahl. Für die amerikanische Demokratie sei das schlimm.
Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden steht mit seiner Frau Jill auf einer Bühne und winkt seinen Anhängern zu.
Hoffnung aller Liberalen in den USA: Joe Biden, hier mit seiner Ehefrau Jill.© AP/Andrew Harnik
Der Journalist Martin Bialecki pflichtet dem bei und spricht von einer "Ungeheuerlichkeit". Die politischen Analysten hätten unterschätzt, wie groß die Überzeugung der Trumpschen Anhänger sei: "Wenn man sich dieses Jahr anguckt mit einer immens hohen Zahl an Covid 19-Toten, mit einer Wirtschaft, die abraucht, mit vier Jahren Inkompetenz, Hass, Populismus in Reinkultur - dass ihn dann trotzdem immer noch über 60 Millionen Menschen wählen, das macht einen fassungslos."
Bialecki sieht eine "breite, tief verwurzelte Bewegung". Das habe alles nichts mehr mit dem "Entertainment-Faktor" zu tun, der Trump anfangs zugeschrieben wurde. Das Ergebnis gebe Trump nun die Möglichkeit, "sein Süppchen weiterzukochen", egal, ob er im Weißen Haus bleibt oder nicht.
US-Wahl 2020
US-Wahl 2020© dpa/Daniel Bockwoldt
Trump sei instinktsicher und wisse, was seine Anhänger hören wollen, ergänzt Gaus. Corona habe ihm offenbar nicht geschadet. Der knappe Ausgang der Wahl sei eine "Ermutigung für Rechtspopulisten". Gründe für die US-amerikanische Krise sieht sie auch im Parteiensystem: Sowohl Republikaner wie Demokraten hätten sehr viel Vertrauen in der Bevölkerung verloren. Wenn es die beiden Parteien nicht schafften, sich zu reformieren, würden sie weiter an Legitimation verlieren. Gaus geht davon aus, dass die Wahl vor den Gerichten landen wird.
Und die Lehren aus der Geschichte? "Populismus braucht eine starke Gegenbotschaft", sagt Bialecki. Die habe es nicht gegeben. Man wisse zwar genau, wogegen die US-Demokraten seien, aber nicht wirklich wofür.

Bettina Gaus ist politische Korrespondentin der "tageszeitung" (taz) in Berlin, von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung. Sie absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München und war danach 1983 bis 1989 Politikredakteurin beim deutschsprachigen Programm der Deutschen Welle. Von 1989 bis 1996 berichtete sie als Korrespondentin in Nairobi für ARD-Sender und Nachrichtenagenturen über Afrika.

Die taz-Journalistin Bettina Gaus in der ARD-Talkshow "maischberger. die woche".
© picture-alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt

Martin Bialecki ist Chefredakteur der Zeitschrift Internationale Politik (IP) und des Online-Magazins Berlin Policy Journal (BPJ). Bis zum Sommer 2018 war Bialecki in Washington DC als Büroleiter und Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur tätig.

Porträt des Journalisten Martin Bialecki.
© DGAP
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