Aus den Feuilletons

Der Kampf gegen Rassismus als demokratische Pflicht

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Joachim Gauck bei der Pressekonferenz mit Photocall zum Realisierungswettbewerb für das künftige Exilmuseum in der Station Berlin. Berlin, 14.08.2020
Haltung ist unabhängig von der Hautfarbe, sagt der frühere Bundespräsident Joachim Gauck. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christian Behring
Von Tobias Wenzel |
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Ex-Bundespräsident Joachim Gauck solidarisiert sich in der "Zeit" mit den Nichtweißen, die von Weißen verlangen, sensibler für rassistische Diskriminierungen zu werden. Allerdings sträubt er sich gegen ein pauschales Urteil.
"Falschmeldungen? Nicht mit uns!", ruft der POSTILLON aus. "Wie in jedem Jahr seit seiner Gründung (1845) boykottiert der Postillon den überaus schändlichen 1. April." Damit solle ein "Zeichen gegen die albernen Lügen und Aprilscherze" gesetzt werden, die, so der POSTILLON weiter, "in vielen weniger seriösen Medien an diesem Tag verbreitet" würden. Tatsächlich kann man als Leser der Feuilletons vom 1. April vor lauter Sorge, reingelegt zu werden, selbst hinter ernsthaften Artikeln Scherze vermuten: Schreibt Peter Maffay in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wirklich über die anstehende Novellierung des Urheberrechts?
Darf man Michael Hanfeld trauen, wenn er in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beteuert, sein Artikel über den Abgang von Julia Jäkel bei Gruner + Jahr sei "kein Aprilscherz"? Macht er sich dadurch nicht gerade verdächtig? Ist es vielleicht ein selbstkritischer Scherz, wenn die WELT auf der Titelseite sich selbst als "überparteiliche Zeitung" beschreibt? Ach so, das ist ja das Titelblatt der ersten Ausgabe von vor 75 Jahren, das die Zeitung nun zum Jubiläum statt einer neuen Titelseite noch einmal druckt. Über einen Link kann man sogar die gesamte eingescannte erste Ausgabe der WELT lesen.

Zwei Wörter, eine Bedeutung

Gedruckt gibt es aber auch einen, jedenfalls wie es scheint, gewöhnlichen heutigen Artikel von Matthias Heine. "Wollt ihr es gendergerecht oder entgendert?", fragt er im Titel und spielt darauf an, dass mit künstlicher Intelligenz Texte so ausgespuckt werden sollen, wie es der jeweilige Benutzer wünscht. Das hätte den Vorteil, dass man sich jedenfalls beim digitalen Lesen nicht mehr streiten muss.
Aber was die künstliche Intelligenz bald machen könnte, gibt es laut Heine bereits. "Bei den Garinagu in Honduras, Belize und Nicaragua", schreibt Heine in der WELT, "benutzen Frauen und Männer für viele Dinge unterschiedliche Wörter." Heine gibt folgende Beispiele: "Wenn Frauen 'gestern' meinen, sagen sie würinauga, die Männer sagen gúnaru. Eine Frau nennt eine andere Frau hinaru, ein Mann bezeichnet eine Frau als würi." Auch für "nein" gebe es unterschiedliche Wörter, je nachdem, ob ein Mann oder eine Frau spricht. Matthias Heines Kommentar dazu: Welche Auswirkung das auf die Verständigung der Geschlechter habe, sei nicht überliefert. "'Nein heißt nein'-Kampagnen westlicher Natur dürften aber kompliziert werden." Oder hat sich Matthias Heine das alles vielleicht doch zum 1. April ausgedacht?

Haltung entscheidet

Zum Glück schreibt Joachim Gauck in der neuen ZEIT. Ein ehemaliger Bundespräsident wird ja wohl nicht einen langen Scherzartikel zu dem Thema schreiben, mit dem er schon für Unruhe in der SPD gesorgt hat. Gauck erklärt sich nun solidarisch mit den Nichtweißen, die von Weißen verlangen, sensibler für rassistische Diskriminierungen zu werden. Der Kampf gegen Rassismus sei eine demokratische Pflicht. Allerdings sträubt sich Gauck gegen das pauschale Urteil, Weiße seien Täter und Nichtweiße Opfer. "Menschen, die die Freiheit, Demokratie und Menschenrechte lieben, fragen nicht danach, ob jemand schwarz ist oder weiß", schreibt Gauck. "Denn nicht Herkunft und eine daraus abgeleitete 'Identität' entscheiden, sondern Haltung. Und die ist unabhängig von der Hautfarbe."
Zum Schluss noch einmal zur WELT und zu den dortigen Stellenangeboten: "Gebildeter Landwirt (led.) für spätere Leitung ein. 51 ha großen Hofes ges. Ausf. Bildang." Anders formuliert: Bäuerin sucht Mann. Zugegeben, das ist kein Stellenangebot aus der neuen Ausgabe der Zeitung, sondern aus der ersten von vor 75 Jahren. Aber vielleicht lebt die Bäuerin ja noch. Und vielleicht nimmt die Zeitung ja auch noch heute Bewerbungen dazu an. Mutige (und gebildete) Bauern schreiben bitte an die WELT unter Angabe der Chiffre B 2415!
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